Klaus Ebner liest Lukas Meschiks Form wahren
Schon der Untertitel verrät, dass Form wahren Dreizeiler, also dreizeilige Gedichte enthält. Und zwar eine ganze Menge davon; etwa fünfhundert, wie der Autor im Vorwort erklärt. Dreizeilige Gedichte, stets mehrere auf der Seite, um das Blatt auszunützen, und jedes trägt einen Titel. Ebenfalls dem Vorwort entnehmen wir, dass diese Texte über mehrere Jahre hinweg, 2018 bis 2023, entstanden sind und eine Art Chronik oder Tagebuch darstellen. Daher ist die Reihenfolge der Gedichte eine chronologische.
Lukas Meschik wurde 1988 in Wien geboren. Er veröffentlichte bereits eine stattliche Anzahl von Lyrikbänden, Romanen (etwa Luzidin oder die Stille 2012) und Erzählungen bei Luftschacht, Jung und Jung sowie Limbus. 2013 war er Kitzbüheler Stadtschreiber. Neben dem Bücherschreiben ist er als Sänger, Texter und Gitarrist mit eigener Band tätig. Meschik lebt in Wien.
Cover © Limbus Lyrik
Die Dreizeiler entstanden spielerisch aus einer Laune heraus und weckten allmählich die Sammelleidenschaft des Autors. Die vorliegenden fünfhundert wurden aus einem Korpus von etwa tausend ausgewählt, und auch zukünftig möchte der Autor alltägliche Beobachtungen und Überlegungen in dieser Form festhalten. Es handelt sich also auch um eine Art work in progress, die indes aufgrund ihres zeitbegleitenden Ansatzes keinerlei Gesamtfinalisierung braucht.
Die Gedichte in Form wahren geben Beobachtungen wieder, insbesondere im städtischen Umfeld. Sie erzählen aber auch Geschichten, und manchmal spielen sie mit der Form. Da geht es dann auch schon mal humoristisch zu. Etwa, wenn einer der Dreizeiler tatsächlich zu einem Haiku wird und das mit einem witzigen Wortspiel kundtut:
Hai Kuh Hai auf der Weide Blickt Freund Kuh vom Grasen auf Was machst du denn hier?
Es sind tatsächlich siebzehn Silben (ohne den Titel), ich habe sie abgezählt, und die grasende Kuh spielt auf den Sommer an. Der surreale Inhalt gibt dann eins drauf: Es darf (und soll) gelacht werden. Ähnlich skurril wirkt der folgende Text, der einem gleich auf der ersten Seite des Textkorpus entgegenspringt:
Dieser Titel ist sehr lang Gedicht Dafür Kurz
Wie hier deutlich wird, ist eine festgelegte Form wie das Haiku eher die Ausnahme. Lukas Meschik arbeitet mit freien Rhythmen, verzichtet auf Satzzeichen (ausgenommen einzelne Kommata inmitten einer Zeile) und beginnt jeden Vers mit einem Großbuchstaben. Die einzige formale Einschränkung (oder Vorgabe), die sich durch das Buch zieht, ist eben jene, dass jeder Text einen Titel und drei Gedichtzeilen aufweist – der Buchtitel ist schließlich Programm.
Dehnbare Form
Der Titel eines Gedichtes integriert sich manchmal vollständig in den Text. Genau diese Technik spricht Meschik offen an, indem er augenzwinkernd einzelne Gedichte geradezu als Legende oder Regieanweisung platziert:
Kuckucksvers Alle paar Überschriften Entpuppt sich ein Dreizeiler Als insgeheimer Vierzeiler
Gemeint ist damit ein integrativer Satz, wie er beispielsweise in folgendem Gedicht zum Ausdruck kommt, bei dem jede Zeile in ein Enjambement mündet:
Du warst ja früher Auch einmal eine Art Hoffnungsträger Sagt nach einem verregneten Fußballspiel Der germanistische Mannschaftskollege zu mir
Der Autor geht mit der selbstgewählten Form eher frei um. Wird ein Titel als Erweiterung der Verse benötigt, dann geschieht das auch. Ebenso ist die Länge eines Gedichtes sehr variabel. Sie reicht von drei Wörtern bis zu relativ langen Sätzen. Folglich sind es vor allem die längeren Dreizeiler, die eine ganze Geschichte erzählen. Manche Wortkreationen – Komposita oder nicht wirklich existierende Komparative – vermitteln eine humorvolle Launenhaftigkeit, die den Chronikcharakter der Texte unterstreicht.
Je romantischer es regnet Desto aufer mach ich das Fenster Desto gerner sitz ich am Schreibtisch Und dichte mich der Abendkühle vor
Vereinzelt kommen Kursivschreibungen vor. Meistens trifft das auf einzelne Wörter zu, die auf diese Weise hervorgehoben werden, manchmal auf eine ganze Phrase. Bisweilen handelt es sich dabei um Zitate, das heißt: auf der Straße oder in einem Lokal Gehörtes.
Da Lukas Meschik seine Dreizeiler als etwas Tagebuchartiges definiert, liegt es nahe, die Inhalte als tatsächlich Erlebtes und Autobiografisches aufzufassen. Die Erzählungen geben sich dabei oft pointiert, wie die folgenden beiden Beispiele:
Eine Vegetarierin lädt sich zum Abendessen ein Ich kaufe einen Halbkiloklotz Tofu Sie sagt kurzfristig ab und böse Schmeiße ich den Räuchertofu weg
Perpetuum Mobile Zwangsbeschallung mit Regionalradio Im Wartezimmer der Ohrenarztpraxis So züchtet man frische Patienten
Die chronologische Anordnung, nämlich der Entstehung beziehungsweise finalen Bearbeitung folgend, braucht und hat keinen durchgehenden semantischen Faden. Meschik beschreibt Aspekte des Lebens, wie sie einem tagtäglich begegnen können. Beobachtungen von Straßenszenen, Zusammentreffen mit anderen Menschen, kleine Erfolge ebenso wie Scheitern, Wunschäußerungen, Missmut und Reflexionen. Leser*innen erleben die unterschiedlichen Jahreszeiten mit, Hitze, Kälte, Regen und Sonnenschein.
Breitgestreute Gedanken
Mittendrin treffen wir auf Philosophisches und Sozialkritisches. Diese Gedichte sind zwar in der Minderzahl, doch bewegen sie selbstverständlich einen Autor, der sich offenen Auges und Herzens durch die Zeit bewegt. Die folgenden Zeilen kommen wohl allen vertraut vor, die entweder selbst Kinder haben oder etwa beruflich mit Jugendlichen zu tun haben:
Generationen Der um zehn Jahre jüngere Mensch Kennt schon nicht mehr die Bands Meiner Seele
Und dann tauchen Texte auf, die in ihrem auf den ersten Blick unscheinbaren Ernst mit ungeheurer Wucht daherkommen:
Besuchserlaubnis Am Friedhof sagt der Vater Sein Sohn habe jetzt immer Zeit Legt Blumen hin und lächelt
Die weltpolitische Lage – wir sollten sie eigentlich als Un-Lage bezeichnen – hinterlässt in Autor*innen ihre Spuren. So auch in Lukas Meschik. Trotz der klaren Gewichtung auf Alltägliches und Persönliches kommt er nicht umhin, einzelne Dreizeiler den aktuellen Kriegen und Bedrohungen zu widmen:
Der kommende Atomkrieg Ist nach wie vor unmöglich Allerdings, Experten sind sich einig War er gestern eine Spur unmöglicher
Bei aller Gesellschaftskritik, die wiederholt aus den Versen lugt, darf selbstverständlich auch ein Quäntchen Hoffnung nicht fehlen:
All die Kriege Die wir hätten führen können Aber nicht geführt haben Machen Hoffnung auf mehr
Lukas Meschiks Gedichte lassen sich einzeln oder in Grüppchen lesen, und so mancher wird das Buch, einmal begonnen, nicht mehr aus der Hand geben, bis es ausgelesen ist. Lyrik auf diese chronologische Art zu schreiben ist so ungewöhnlich wie faszinierend. Form wahren erschien in der Reihe Limbus Lyrik, die sich für Lyrikpublikationen inzwischen einen ausgezeichneten Namen gemacht hat und zu den bedeutendsten Buchreihen zeitgenössischer Lyrik in Österreich zählt. Ein Hardcover mit Lesebändchen, gewohnt ästhetisch gestaltet, und das handliche Format des Buches machen es zu einem wahren Kleinodium.
Lukas Meschik: Form wahren. Limbus Lyrik, Innsbruck–Wien, 2024. 96 Seiten. Euro 15,–