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Fragebogen: Judith Nika Pfeifer

Fragebogen: Judith Nika Pfeifer

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Die POESIEGALERIE stellt ihren Autor*innen Fragen zum Schreiben
Heute die Antworten von Judith Nika Pfeifer

1. Schreibst du regelmäßig? Zu welchen Zeiten und an welchen Orten?

regelmäßig? ha, wenn die wörter kommen, dann kommen sie, wann sie wollen – nachts, morgens, liegend, sitzend oder stehend, gehend, der rhythmus muss stimmen, manchmal in der u-bahn, in clubs, im café, am rad … für mich ist ein integraler teil des schreibens: offen zu sein, finden, aufschnappen, auflesen, puzzlen, zurückgeben, sammeln, spielen, aufzeichnen. ich hab daher immer etwas bei mir, um schnell ideen notieren zu können. und wenn mal nichts zum aufschreiben da ist, muss mein handy herhalten: wenn ich zum beispiel bemerke, dass jemand etwas weirdes mit seinen händen macht, und ich das, was sich mit dieser einen handbewegung verknüpft, festhalte. anders ist es, wenn ich mal an was längerem sitze, dann fühlt es sich an wie die kurze erfüllung eines wunsches, wie eine art zweites leben, das ich nicht immer leben kann, weil ständig was anderes dazwischenkommt. es ist ein hin & her zwischen erschöpfung und bedürfnis. aber, also wenn ich es schaffe, wirklich länger am stück schreibend ganz darin zu versinken, verschwindet die zeit und ich habe das gefühl, ich bin am fliegen – diese momente sind toll & kostbar. es ist ein großes glück, ein entdecken. was es bedeutet, sowohl innerhalb als auch außerhalb der welt zu sein // poesie findet statt / wo das denken ins stolpern gerät / manchmal in staubwirbelndem licht / manchmal im honigkräuseln / manchmal im dahinrauschenden großraumabteil / & immer dort wo die begriffe / sich gegen ihre eigene definition wehren

2. Ist Schreiben für dich eher Handwerk oder Inspiration? Wie passen diese beiden Pole zusammen?

handwerk & inspiration? eine falsche opposition, wie alle schönen oppositionen. besser könnte man sich fragen: wie verhält sich die form zum staubflirren? wie das denken zum körper? wie die geste zur bedeutung? das handwerk ist das experiment, ist die versuchsanordnung. ist das risiko der form handwerk? inspiration? beides nicht ganz zutreffende worte, vielleicht ist es mehr wie atmen. du denkst nicht: jetzt einatmen, du machst es einfach. aber dann musst du den atem zu etwas neuem formen. eine entdeckung, bei der das umschreiben und verfeinern unerlässlich ist. die beiden passen wunderbar zusammen, ergänzen sich geradezu. ich sehe zum beispiel jemanden im supermarkt weinen und notiere mir, was er trägt, oder ich erinnere mich daran, wie mein sohn mich fragte, ob pflanzen beste freunde haben oder an einen moment bei einem jim-pepper-konzert im innviertel vor ewigen zeiten. und dann später, wenn ich tatsächlich schreibe, wollen diese fragmente auf irgendeine art und weise miteinander verbunden werden. vielleicht ist es also so, als wäre man eine kuratorin von momenten?

3. Wo findest du deine Themen? Eher in deinem Leben und unterwegs oder in Büchern und Medien?

überall! in der art, wie sich die nachbarskatze im sonnenlicht reckt, in staudämmen, die uralte schluchten ertränken, im geschmack von sommerregen, in einem sandwirbel, in technischen glitches. sie tauchen von irgendwoher auf und ich folge dem, was da kommen mag, oder wohin es mich führt. alles liefert material, abgebrochene gespräche, die art, wie menschen dinge falsch aussprechen. vor allem fehler, fehler sind gold. und die themen finden mich / in in allen möglichen texten wissenschaftlichen & anderen etc. slash kontexten / interdiszplinären geweben, kunst, musik!/ & in dem was die wörter so treiben / (wenn man sie alleine lässt) // in den widersprüchen der alltagssprache / in den zumutungen der gegenwart / & in der art wie wasser / das licht bricht / & umgekehrt: wie es sich verdampft. manchmal finde ich was in bildern, die keine bilder sind, sondern schreiben. in gesprächen, die nie gespräche sind, sondern immer schreiben. in diesen kleinen menschlichen momenten, die sich beiläufig riesig anfühlen.

4. Welche Bedingungen muss ein gelungenes Gedicht für dich erfüllen? Oder: Wann bist du sicher, dass ein Gedicht fertig ist?

wann ist ein gedicht fertig? wenn es nicht kürzer sein kann, wenn jedes wort im mund sitzt, perfekt falsch, perfekt richtig, wenn es seltsame musik macht, wenn es etwas mit mir macht, mich anders zurücklässt und mitnimmt. mich überrascht! ein text ist fertig, auch wenn er meine erwartungen nicht immer ganz erfüllt. manchmal geb ich mich mit dem zufrieden, was da an eingebung kommen mag, wie: „um 00:00 uhr // schielt mich mein handy// mit großen augen an“, das ist grad eben frisch in meinem gedichtband TIGER TOAST erschienen. ein text ist gelungen, wenn: er vibriert, wenn er zwischen den zeilen atmet, wenn er auf der bühne funktioniert ebenso wie auf dem papier, wenn er im körper resoniert. wenn ich mich ein bisschen unwohl fühle, aber auch das gefühl habe, eine art wahrheit gesagt zu haben, von der ich nicht einmal wusste, dass ich sie kenne. ein gedicht ist fertig, wenn es ist, was es ist, und nicht ist, was es nicht ist. wann weiß der blitz – / dass er fertig geblitzt hat? / wenn der donner – zurück antwortet –? / so als bestätigung –
aber in wirklichkeit ist nichts jemals wirklich fertig, manchmal sagt mir ein text, dass er seine form gefunden hat, zumindest für den moment, auch wenn ich vielleicht jahre später darauf zurückkomme, für mich sind texte lebendige wesen. sie wachsen, sie verändern sich, sie haben ihren eigenen willen, ihre eigene art zu sein. sie eignen sich auch prima zum remixen.
also ja, vielleicht ist ein gedicht fertig, wenn es weiß, was es nicht weiß & dieses nichtwissen produktiv macht. vor allem aber: wenn es im lesenden angekommen ist & etwas berührt, was sich über reine sprache nicht vermitteln lässt / vermittelt. und obendrauf top: wenn es albern ist!

Judith Nika Pfeifer © Autorin

5. Trifft auf dich das Diktum zu, dass Dichter*innen Seismographen ihrer Zeit sind – und wenn ja, inwiefern? Anders gefragt: Siehst du für dich als Dichter*in eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze?

seismograph/seismographin ist mir zu passiv. ich zeichne auf, aber: ich mache dann ja auch was damit. ich denke, künstler*innen sind eher wie … menschen, die auf dinge zeigen? so nach dem motto: hey, seht euch diese sache an, die wir alle tun, über die wir aber nie sprechen! oder was uns nicht gleich auffällt.
wenn mein schreiben zu unserer zeit spricht, dann durch das, was uns transformiert. ich habe keine bewusste funktion in diesem gefüge – ich sehe mich als dichterin als eine, die mittendrin ist, die in jedem fall gesellschaftliche normen mal mehr, mal weniger subtil infrage stellt. wenn ich eine funktion habe, dann die einer beobachterin, einer zeugin. aber wir sind keine aufzeichnungsmaschinen – wir sind alle zeug*innen von allem, egal, wie angenehm oder unangenehm es ist. was zwischen den nachrichten passiert / was unter der oberfläche vibriert / was im system stört / was zwischen den zeilen zittert / was so sehr angst hat, dass es verstummt. manchmal kann man nicht mehr hinhören, nur hinfühlen, mitfühlen. und versuchen, es zu übersetzen. manchmal heißt das, so leise zu sprechen, dass die leute einen kaum hören, aber sie hören dich trotzdem – oder so sehr zwischen den zeilen zu schreiben, dass es nicht alle verstehen können. auch seltsame, zarte momente im alltag zu bemerken, die eigentlich allgemeingültig sind – das versuche ich zu seismographieren, falls das überhaupt ein verb ist. wie es sich anfühlt, in genau diesem moment lebendig zu sein, mit all seinen schrecklichkeiten und seiner schönheit und seiner überwältigenden vielfalt, aber mit einer gewissen leichtigkeit. wenn die gesellschaft von einer klippe springt, ist es dann meine aufgabe, die aussicht beim fallen zu beschreiben? also seismographin? jein: hineinlesende, herauslesende & hinein- & herausfallende / zeit & raum ist ja selbst ein schwankender begriff / & wer da was aufzeichnen will / muss mitschwanken / mit der zeit / jedenfalls mit ihr gehen / oder mit ihr gehen

6. Kannst du mit dem Satz „Dichten ist ein brotloser Beruf“ etwas anfangen? Oder besteht in deinem Leben eine Spannung zwischen Schreiben und Einkommen?

die ökonomische frage ist komplex. poesie existiert ja – wie alles – in spannung zur marktlogik. brot & poesie? poesie & flügel viel eher! poetry bringt mich an orte, an die ich sonst nie käme, gekommen wäre. es ist meine form des in-der-welt-seins.

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7. Welche Autorinnen und Autoren, welche Gedichte haben dich geprägt, fürs Schreiben sowie fürs Leben?

dichter*innen ja, immer! und mehr: es ist eine schier endlose liste an wunderbaren stimmen, verblichenenen & gegenwärtigen. ein enormes, vielstimmiges buntes orchester. ich könnte jetzt namen auflisten, aber das ginge dann ende nie, und wenn ich bei einer/einem beginne, kann ich nicht die andere / den anderen ebenso wichtigen nicht anführen. deshalb lasse ich es. aber wer meine bücher kennt, findet darin einiges an einflüssen in form von head-bows, chapeau-hommagen, anmerkungen und remixes.

8. Woran schreibst du gerade bzw. woran hast du zuletzt geschrieben?

es heißt „nochsoweitkommendes“ über eine eingeklemmte tastaturtaste, die nicht weiß, dass sie läuft (oder vielleicht weiß sie es doch) (noch)
also über die phänomenologie des unmöglichen stolperns im laufen / eingeklemmt sein. aber ich sollte nicht über unvollendete arbeit sprechen.

9. Gibt es eine Frage, die du dir gerne selbst stellen und beantworten möchtest?

meine frage wäre, was ist eine frage, wenn eine frage keine frage ist, sondern eine antwort, die keine antwort ist. und meine antwort wäre: warum frage ich mich das?

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