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Seelenerotik

Seelenerotik

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Petra Ganglbauer liest Liebesgedichte von Paul Celan

Seit ich denken kann, faszinieren mich die Gedichte Paul Celans. Ich weiß, das klingt übertrieben, aber ich erinnere „Literaturpflege“ als Ergänzungsunterricht an der AHS, jede Woche etwa eineinhalb bis zwei Unterrichtseinheiten, jeweils am Nachmittag. Und ich erinnere unter anderen Dichter*innen Paul Celan. Damals schon empfand ich eine Vorliebe für Literatur, die Unwägbares oder Geheimnisse in sich trägt und demgemäß schwer zu entschlüsseln ist. Ich sehe noch die ratlosen, zweifelnden Blicke jener Klassenkolleg*innen vor mir, die so gar nichts mit Celan oder Lyrik generell anfangen konnten.

Viele Jahre später widmete ich mich Celans Werk auf eine andere, vertiefendere Weise. Was mich bis heute besonders berührt, ist dieser Herz und Kopf durchdringende Gestus, der – ganz gleich, ob politische oder seelische Grausamkeiten spiegelnd, meist beides zugleich – etwas Zwingendes an sich hat. Etwas, das in mir sein Echo findet und aus meinem Gedächtnis, mehr noch, meinem Leben als Mensch und Autorin nicht mehr zu löschen ist. Auch weil der Dichter daran erinnert, dass ein Überleben der Shoah und der Konzentrationslager, wenn auch noch so schmerzbehaftet, möglich war. All das erlebte Leid von ihm und anderen Opfern ist seinem Werk immanent. „Die Todesfuge“ ist sein wohl berühmtestes Gedicht.

© Petra Ganglbauer

Petra Ganglbauer im Garten mit dem von ihr besprochenen Band "Liebesgedichte" von Paul Celan

Was die meisten Leser*innen mit Celan jedoch lange Zeit schwerlich verbanden, waren Liebesgedichte. Ich habe mich in diesem Sommer einmal mehr mit Celans Liebesgedichten auseinandergesetzt. Gedichte, deren sprachlicher Duktus, deren Bildhaftigkeit, Nachklang und die ihnen innewohnenden Seelenturbulenzen eine ungeheure Wirkung erzeugen.

Viele konkrete Elemente enthalten diese, ganz stark an die Natur angelehnten Liebesbekundungen. Seelenerotik möchte ich das nennen.

Wenn in „Sommernacht“ der Wind „an Sternen zaust“die Birken sich „in den Wunsch der Fichten“ kauern … oder, wenn es in „Leuchten“ gleich am Beginn heißt:

Schweigenden Leibes
liegst du im Sand neben mir,
Übersternte

dann wirkt ein Jedes in das Andere hinein: die Subjekte der Natur ins Menschsein, das Du ins Ich, das Ich ins Du, und schließlich beide in die Natur. Die Metaphorik, die nicht glatt angewendet, sondern stets durch sprachliche Abweichungen oder gedankliche Abzweigungen gebrochen wird, macht neugierig, regt mich an, jedes Gedicht noch einmal und noch einmal zu lesen; und jedes Mal scheint die Welt darin eine minimal veränderte zu sein.

Bezeichnend und für mich wesentlicher Teil der Anziehung dieser Gedichte ist das „Dazwischen“ als konstituierendes Element. Etwas, das offenlegt, dass nichts im Leben eindeutig definiert werden kann, wie in „Zu beiden Händen“.

Du bist,
wo dein Aug ist, du bist
oben, bist
unten, ich
finde hinaus.

Oder in „TAU“:

See Also

(...)
die Nacht ist die Nacht
sie beginnt mit dem Morgen,
sie legt mich zu dir.
(Die Jahre von dir zu mir).
wir bröckelten auseinander
und bröselten wieder in eins:
(...)

Das Paradoxe, Widersprüchliche, verleiht diesen Gedichten eine Art kinetische Energie, die das ganze Potenzial des Universums umfasst. Das Unbehauste jedoch bleibt den Gedichten inhärent. Das Tödliche ebenfalls. In diesem Spannungsfeld bewege ich mich während der Lektüre. Paul Celan lässt mich nicht aus, er fordert die Disziplin seiner Leserin ein:

Entmischen musst du, entmischen.
Ein Äußerstes
tun, ein
Innerstes. Ent-
scheiden musst du dich, aus
Liebe.

Weit, wo du nicht bist, da
bist du, noch immer, geh hin,
den Herzweg.

Geh, geh. Begeh
das Vergänglichste an dir, das
Tödliche, Dauernde.
(...)

Was mich überdies in Bann hält, ist die Gleichgültigkeit der Dinge, Wesen, Worte; ein jedes ist essenziell, ein jedes unverzichtbar. Der Dichter eröffnet wieder und wieder einen Kosmos, der oszilliert und sich vorschnellen Festmachungen entzieht, wie in „DIE LIEBE“:

Wen, da er durchs Nichts fährt,
holt das Veratmete hier
in eine der Welten herüber?

Ich atme diese Gedichte ein und aus. Sie leben in mir.

Paul Celan: Liebesgedichte. Insel Taschenbuch. Frankfurt/Main. 2003 (aktuelle Auflage: Berlin, 2017), 104 Seiten, Euro 8,-

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