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Spitz gedacht ins Heft gebracht

Spitz gedacht ins Heft gebracht

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Klaus Ebner liest Gerhard Jaschkes Wie nie danach


Cover jaschke wie nie danach

Der Titel von Gerhard Jaschkes Buch weist auf etwas Nachträgliches hin, auf nachgebrachte Gedanken und Überlegungen zu Ereignissen, die man miterlebt hat bzw. miterleben muss, auf Reflexionen, welche diese Ereignisse zwar niemals bei ihren Urhebern erzeugen, sehr wohl hingegen in der Literatur. Wie nie danach sammelt eine Reihe von Texten, die durchwegs Notizen sein könnten, aber vielfach zu kunstvollen Prosastücken, Miniaturen und Gedichten wurden. Texte, die oftmals zum Lachen oder zumindest zum Schmunzeln reizen, die sich aber beim zweiten Hinsehen als ungemein tiefsinnig entpuppen können.

Cover © Ritter Verlag

Möchtegernschiedsrichter
pfeifen am Rande des Spielfelds
regelmäßig und unablässig,
mit etwas Unverstand kann man schon
sein Lebtag ausrichten.

Gerhard Jaschke wurde 1949 in Wien geboren. Er ist Herausgeber der Zeitschrift Freibord und war mehr als zwanzig Jahre lang Dozent für Literaturgeschichte an der Akademie der bildenden Künste Wien. Das hier besprochene Buch erschien im Klagenfurter Ritter-Verlag, der seit Langem für die Publikation „ungewöhnlicher“ Bücher bekannt ist. Gerhard Jaschkes Notizen, Überlegungen und WKWs (=Wortkunstwerke) finden in dem ästhetisch gestalteten broschierten Buch dieses Verlages eine ideale Heimstatt.

Die Themen sind in einem Buch wie diesem naturgemäß vielfältig, ich möchte sogar sagen: schillernd bunt. Jaschke philosophiert mit spitzer Feder über Politisches, Gesellschaftliches und gewisse zeitgemäße Verhaltenstendenzen, etwa den (übermäßigen) Konsum von Massenmedien und TV. Dass so mancher Zeitgenosse, der dem Publikum aus dem Fernsehen entgegenspringt, bloß als „Monster“ zu bezeichnen ist, lässt das anfängliche Grinsen flugs erstarren, weil es so wahr ist. Und dabei meint Jaschke wohl keineswegs nur die „Fritzls, Priklopils und Fuchss“ [sic!].

Die Formulierungen sind pointiert und bisweilen frech. Sie ergeben einen lebendigen Lesefluss und bieten ein Kaleidoskop manchmal haarsträubender, aber stets mitreißender Einfälle und Überlegungen. Vermutlich gänzlich während der Pandemie geschrieben, blitzen wiederholt Anspielungen an diese auf, Gedanken zu den Auswirkungen des SARS-CoV-2-Virus und der zahlreichen Gegenmaßnahmen auf unsere Gesellschaft, die sich im Großaufgebot ins Heimbüro zurückzieht. Geradezu programmatisch erscheint daher die folgende (an sich selbst gestellte?) Aufforderung: „Keine PKWs, also Personenkraftwagen, produziere er in seinem Home-Office, sondern ausschließlich WKWs, will sagen Wortkunstwerke.

Wortspiel und Reimwitz

Dieses Buch enthält mehr Prosa als Lyrik – Texte, die vom Verlag bzw. vom Autor selbst als „Betrachtungen, Lektürenotizen, Vorgefundenes, Erinnerungen eines Kunst- und Literaturbegeisterten“ bezeichnet werden. Manche Stücke könnten durchaus als Prosagedichte durchgehen, doch die Art und Weise, in der Jaschke die unterschiedlichen Gattungen miteinander vermischt und jeweils dort einsetzt, wo sie sich gut einfügen, legt ohnehin nahe, dass die Grenze zwischen Prosa und Lyrik hier verschwimmt oder zumindest nicht allzu ernst genommen wird.

Von fundamentaler Bedeutung ist das Spiel mit Worten –„Klobrillen haben noch keine Dioptrien“ –, Gleich- oder Ähnlichlautungen und Reimen. Gerhard Jaschke macht es sichtlich Freude, auf Bedeutungen und Wortmustern herumzureiten: „selbst Schnepfen haben einen Schnupfen“. Bei ihm dürfen stabreimende „Floh und Flietscherl flanieren“, und das Wortspiel geht manchmal so weit, dass er einfach mit Spontanreimen herumalbert und sich dann entweder nicht mehr um Sinnhaftigkeit kümmert oder diese schlicht ins Absurde zerrt: „Echt toll, Atta Troll voll!“ Oder die Wörter werden zerlegt und zu neuen Silben zusammengesetzt, die an Kinderreime gemahnen: „signal in glas, nilgas, las gin, sag nil, gansli ingals slagin. Niglas sang il“. Eine Lust am Fabulieren, am Experimentieren und Ausprobieren, die mich an ähnliche Passagen in den frühen Romanen von Samuel Beckett erinnert. Das in Jandlscher Manier gehaltene Gedicht „Flatus (einwortanagramm)“ gehört ebenfalls in diese Gruppe. Und wenn ihn der Hafer sticht, dann hält Jaschke auch mal einen spaßigen Geistesblitz fest:

See Also

Frage an den „Schnitzelwirt“: 
Haben Sie auch etwas für Veganer?
Antwort: Aber ja doch. Servietten!

Schmunzeln musste ich auch bei der folgenden Passage, die (zu Recht) kritisch auf das Thema des sprachlichen Genderns eingeht: Summa summarum: Man muss nicht unbedingt ein Hallodri sein oder gar ein Frauenverächter, um Gendersternchen, Binnen-Is und andere Unsinnigkeiten abzulehnen. Warum nicht beide Geschlechter und alles Dazwischenseiende nennen? So viel Zeit sollte doch wohl sein, liebe Freundinnen, liebe Freunde, oder was ihr auch immer seid bzw. sein wollt, wie das Magistratswastl, das an anderer Stelle ausführlich behandelt wurde. Würdevoll, versteht sich von selbst, doch dem Verfasser dereinst eine Strafe von der Stadt Wien wegen ‚beleidigender Schreibweise‘ einbrachte.“ [sic!]

Reminiszenzen und Hommage

In einigen der Texte erwähnt Jaschke Kolleginnen und Kollegen, wenn er auf bestimmte Begebenheiten anspielt oder Zitate aus deren Texten und Vorträgen erwähnt. Mit Ilse Kilic etwa hat er im Büro der Grazer Autorenversammlung jahrelang zusammengearbeitet, und er kommt an manchen Stellen auf Aussprüche der Kollegin oder Sentenzen aus ihren Büchern zurück, die nun in den eigenen Texten verewigt werden. Eine andere Notiz betrachtet das Zeitfenster, das Lebende zur Verfügung haben; der große Unterschied im Lebensalter von Goethe und Schiller fällt auf, Stifter lag mit seiner Lebenszeit irgendwo dazwischen, und die sechsundneunzig Jahre, die Friederike Mayröcker erreichte, sind selten und für die meisten unerklimmbar.

Von Jaschkes Belesenheit zeugen zahlreiche Zitate, etwa von Heinrich Heine, Egon Schiele, Konrad Bayer, Georg Christoph Lichtenberg und Elfriede Gerstl. Vereinzelt tauchen im Gedächtnis gebliebene Ideen oder Passagen aus den Büchern klassischer und zeitgenössischer Autorinnen und Autoren sowie eben jener auf, die Gerhard Jaschke persönlich kennt oder mit denen er im Laufe seines langjährigen Engagements in Autorenvereinigungen zu tun hatte.

Wie nie danach ist definitiv ein Buch zum Schmökern. Dazu laden die kurzen Texte ein – egal, ob Prosa, Notiz oder Gedicht. Auf der Couch, am Abend vor dem Schlafengehen im Bett, in der Straßenbahn oder U-Bahn, im Park schlendernd oder auf einem Berg sitzend: ein Texterl da, ein spitzer Gedanke dort, ein humoristisches Verserl, ein bissiger Literatenaufschrei. „Alter Schwede! Ist das das Ziel?“ Ja, ist es. Oder besser: sollte es sein. Literatur, die man überallhin mitnehmen und in wohlgefälligen Portionen zwischendurch konsumieren (nicht verspeisen, aber vielleicht verschlingen?) kann, das ist dieses Sammelsurium von Texten allemal.


Gerhard Jaschke: wie nie danach. Ritter Literatur, Klagenfurt, Graz und Wien, 2022. 252 Seiten. Euro 27,–

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