Klaus Ebner liest Peter Paul Wiplingers Blian und vablian
Der hier besprochene Gedichtband ist eine Reise in die – inzwischen weit zurückliegende – Kindheit, eine Reise zur ersten Sprache des Autors, in den Mühlviertler Dialekt, der seine Persönlichkeit geformt und sein ganzes Leben in vielfacher Hinsicht geprägt hat. Peter Paul Wiplinger wurde 1939 im oberösterreichischen Haslach geboren. Seit 1960 lebt und arbeitet er in Wien, und wer auch seine anderen Lyrikbände aus der letzten Zeit kennt, weiß, dass er seit Jahren mit einer schweren Krebserkrankung kämpft und sich mit dieser vielfach literarisch auseinandersetzt.
Cover © Korrektur Verlag
In seinem neuen Gedichtband „Blian und vablian“ besinnt er sich allerdings zurück, erzählt von der Kindheit und Jugend, von der Familie und dem ländlichen Umfeld, in das er hineingeboren wurde und wo er die letzten Jahre des Krieges sowie die Besatzungszeit miterlebte. Das und jene Zeilen, die dann doch das Alter ansprechen und auf das nahende Ende anspielen, wirken insgesamt – und geradezu kontrapunktisch zu vielen standarddeutschen Altersgedichten in anderen Publikationen – wie eine Art Versöhnung mit dem Schicksal.
Dieses Buch bezeichnete Wiplinger in einem E-Mail als sein „letztes“. Ob dies tatsächlich so sein wird, möchte ich zwar offengelassen wissen, doch in gewisser Weise rundet es eben das Alterswerk ab, das sonst durchgehend in der Standardsprache verfasst ist. Seine Heimkehr erklärt der Autor in einem der ersten Gedichte mit dem Titel „Hoamkemma“:
Des kinnt a scheens Biachö werdn, deng i ma, wia i de Gedichte schreib. Wei auf oamoi wird ma kloar, daß imit dera Schproch, de i nia valernt hob, hoamkemma tua in mei Kindheit, in a längst vaschwundane Wät.
Da es für Dialekte generell keine fixierte Schreibregelung gibt, muss jeder eine Reihe von Entscheidungen treffen, wie er oder sie die Wörter schreibt. Wiplinger gibt an, dass er mitunter die nicht gesprochenen Konsonanten hinzugefügt hat, um durch die Orthografie auch jenen, die diesen und ähnliche Dialekte überhaupt nicht kennen, das Verständnis zu erleichtern. Am Beginn des Buches finden wir eine Übersicht über die Schreibungen und „Schreibregeln“, die im Buch verwendet werden. Mich irritierte ein wenig der Umstand, dass er für Ö-Laute meistens ein Ä schreibt, aber das ist erstens angekündigt und deutet wohl zweitens auf einen nicht ganz eindeutigen Ö-Laut im Mühlviertler Dialekt hin. Generell sind die Texte leicht lesbar und verständlich, zumindest wenn man einen süddeutsch-bairischen Sprachhintergrund hat, wie in meinem Fall den wienerischen.
Todesarten und Politisches
Wiplinger ist das jüngste von insgesamt zehn Kindern. Sieben seiner Geschwister sind bereits verstorben, und für jede Schwester und jeden Bruder verfasste er ein Gedicht, in dem über deren Tod reflektiert wird. Interessant dabei: Alle diese Gedichte wurden am selben Tag geschrieben, im Juni 2022. Ebenso die einfühlsamen Todesgedichte für die beiden Eltern.
Der Lieblingsbruder Sepp stürzte bei einer Bergbesteigung in den Tod, und über ihn heißt es im Gedicht unter anderem:
Af da Doana woittn mia zwoa owefoahrn in an säwabautn Schinackl; des woar unsa gemeinsoma Traum. Owa da Tod woar schnälla ois mia. Der hot uns den Sepp weggnumma; und aus woar’s mit olle unsare Tram.
Jede Schwester und jeder Bruder steht für eine besondere Erinnerung. Manche standen näher, andere weniger nah, starben jung oder älter, aber nie in dem fortgeschrittenen Alter, in dem der Autor und seine beiden noch lebenden Schwestern heute sind. Wir erfahren auch etwas über die Eltern und sogar die Großeltern. Der Vater war eine Zeitlang Bürgermeister in Haslach, und der junge Peter Paul hatte nicht nur Zugang zu Büchern, sondern wurde auch mit politischen Ereignissen konfrontiert.
Dass man in der Zeit des Nationalsozialismus den Mund halten sollte, um nicht Mutter oder Vater zu gefährden, bekam er schon als Vierjähriger mit. Auch dass die echten und wirklich gefährlichen Geister nicht die aus den Märchen waren, sondern jene Leute, die im Dorf mit dem Totenkopf-Emblem an der schwarzen Mütze herumliefen und die Macht hatten, Menschen einfach verschwinden zu lassen.
Mehrmals kommt ein Bezug zum „Nazi-Weib“ vor, der auch in anderen Gedichtbänden aufscheint. Ein Kindermädchen, bar jeden pädagogischen Verhaltens, prügelte die Kinder in „bester“ Nazi-Manier, ließ sie stundenlang in der Ecke stehen oder sperrte sie in den Keller, wo niemand sie schreien hören konnte. Die Eltern mussten in ihrem Greißlerladen arbeiten und bekamen lange nichts davon mit. Als es eines Tages besonders arg wurde, lief eine der Schwestern in den Laden und informierte die Eltern. Das Kindermädchen, so Wiplingers Erinnerung, musste dann umgehend seine Koffer packen.
Es gibt Texte zu Stalin, zum Wiederentstehen des österreichischen Staates und zu Kreisky: „Da Kreisky woar a Stootsmon und a feina Herr“. Mittendrin dann ein Gedicht mit dem Titel „Österreichischer Antisemitismus“, das überraschenderweise in Standarddeutsch wiedergegeben ist; es stammt aber aus dem Jahr 1986 und wurde zum Wahlkampf von Kurt Waldheim für das Bundespräsidentenamt geschrieben.
Chronologien
Peter Paul Wiplinger versah alle Gedichte, wie schon in anderen Gedichtbänden, mit ihrem Entstehungsdatum. Die Anordnung wurde dann nicht chronologisch, sondern gemäß einer dem Autor passenderen zeitlichen Struktur gewählt. Es fällt auf, dass er die meisten Texte 2022 geschrieben hat, genauer: im Sommer 2022. Dennoch gibt es Ausreißer: einzelne Texte vom Jahresbeginn, aber auch solche aus ganz anderen Jahren, wie 2018, 2017, 2015, 2001 – und eben auch den bereits erwähnten standardsprachlichen von 1986.
Die logische Chronologie ergibt sich aus den Inhalten. Wiplinger beginnt mit der frühen Kindheit und arbeitet sich vor: die Kindheit unter dem Nationalsozialismus und danach die Jugend mit der neuen Souveränität Österreichs, das junge Erwachsenenalter mit dem Umzug nach Wien, die politische Teilhabe und das literarische Engagement und schließlich das Alter und die Vorlieben, welche sich der damals Halbwüchsige bis heute bewahren konnte.
Wie ein schönes Lebensresümee liest sich die folgende Strophe:
Wonn ma mi frogat, wos i gern gwen war, donn sogat i vüleicht: A Mensch mecht i gwen sein, a gonz a oafocha Mensch; nix Bsundas, nix Ausgfoins, oafoch a Mensch.
So ganz kann ich Peter Paul Wiplinger dabei natürlich nicht zustimmen, denn er ist mit Sicherheit ein ganz besonderer Schriftsteller und Lyriker.
Peter Paul Wiplinger: Blian und vablian. Korrektur Verlag, Mattighofen, 2022. 210 Seiten. Euro 20,–
Peter Paul Wiplinger: Geboren 1939 in Haslach / Oberösterreich. Lebt seit 1960 in Wien. Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Philosophie. Lyriker, Kulturpublizist und künstlerischer Fotograf. Mehr als 100 Fotoausstellungen im In- und Ausland. Jahrelang tätig als Werbetexter und als Leiter einer Kunstgalerie.