Daniela Chana liest Ferdinand Schmatz’ „STRAND DER VERSE LAUF“
Ferdinand Schmatz legt mit „STRAND DER VERSE LAUF“ ein ebenso sinnliches wie sprachlich elaboriertes Langgedicht vor, in dem ein lyrisches Ich die Grenzen zwischen sich selbst und seiner Umgebung auslotet.
Cover © Haymon Verlag
Der Untertitel des Bandes verrät bereits, dass es sich hier nicht um eine beliebige Zusammenstellung von Poemen, sondern ausdrücklich um ein einzelnes „Gedicht“ handelt. Dieses ist jedoch in mehrere Zyklen unterteilt, die durchaus abgeschlossene Textblöcke mit jeweils eigenen Überschriften beinhalten, in denen allerdings dieselben Motive, Themen und Beobachtungen wiederkehren, aufeinander reagieren und einander antworten. Bereits darin spiegelt sich konzeptuell das Fließen des Meeres. Auf die Terminologie der Pop- und Rockmusik übertragen, entspräche ein solcher Aufbau einem Konzeptalbum, auf dem die einzelnen Songs jeweils für sich stehen können, aber in der Zusammenschau einen roten Faden aufweisen und ein stimmiges Ganzes, eventuell sogar einen Handlungsstrang ergeben. Nun hat „STRAND DER VERSE LAUF“ zwar nicht unbedingt einen Plot, aber doch ein Setting, das sich durch das gesamte Buch zieht: Ein Individuum läuft über einen Strand, nimmt sich selbst und die Natur wahr, macht dabei unterschiedliche Erfahrungen der Abgrenzung und Verschmelzung mit seiner Umgebung.
Hingabe und Mehrdeutigkeit
Landschaft und Körper sind häufig eins in diesem Langgedicht. Das lyrische Ich verschmilzt mit dem Strand und dem Meer, aber auch mit den kulinarischen Genüssen, denen es sich hingibt: Die „Rippe“ Schokolade, das „Ei“, der Apfel, all diese sind Gegenstand der Begierde und (auch sprachlich) Teil des Körpers zugleich. Immer wieder und auf vielfältige Weise vereinigt sich das Ich mit dem, was es liebt oder wonach es sich sehnt: „ins du oder ich ist gleich gültig benotet“. Sämtliche Grenzen werden ausgetestet, gedehnt – oder lösen sich auf: jene zwischen dem Ich und der Welt, zwischen Körper und Sprache, Wahrnehmung der Realität und Imagination. Zu dieser Auflösung des Ich passt die Namenlosigkeit, die mehrfach thematisiert wird und auf den gestrandeten Odysseus verweist.
Hingabe und Verlockung sind große Themen, die in „STRAND DER VERSE LAUF“ stets wiederkehren. Es mag kein Zufall sein, dass vor allem die ersten Seiten des Bandes wie die Schilderung eines Rauschzustands klingen und das Vokabular etwa Assoziationen mit dem Themenkreis Alkohol zulässt: „blau“, „dicht“, „voll“, „spiegel“, „rauschen“ etc. Doch hier hält die Rezensentin bereits inne und unterbricht sich selbst: Ist diese Deutung wirklich legitim, würde sie einer zweiten Lektüre standhalten, oder ist dies bloß Auslegungssache und nichts dergleichen intendiert? Funktioniert diese Lyrik wie ein Rohrschachtest, und verrät die Rezensentin mit ihrer Interpretation mehr über ihre eigene Gedankenwelt als über das Buch? Diese Frage bleibt offen wie fast alles in Schmatz’ Gedichten, die auf Mehrdeutigkeit und einem Spiel mit Assoziationen beruhen.
Kunstsprache mit Wiedererkennungswert
Schmatz bedient sich einer Kunstsprache, die mit jener des Alltags nicht viel zu tun hat und manchmal antiquiert klingt, etwa durch den häufigen Gebrauch des Genetivs. Unterstützt wird dieser Eindruck weiters immer wieder durch die ungewohnte Stellung der Verben: „durch sand ich stürm“. Der Dichter seziert die Sprache, klopft nahezu jedes Wort auf zweite oder dritte Bedeutungsebenen ab. Er spaltet Phrasen auf, um darin etwas Neues zu finden: „gebend mich dir hin, / was hand sein könnte reicht“. Häufig zerteilt er Worte durch Beistriche oder Abstände zwischen den Buchstaben, etwa „flug,s“, „ich schwimm,er,“ oder „vers,sand“. Indem er seine ganze eigene Sprache schafft, sichert sich Schmatz einen Wiedererkennungswert in der Lyrik-Landschaft.
Im Lauf des Bandes mag sich beim Lesen eine gewisse Beklemmung einstellen. Das Setting des einsamen Strandläufers schränkt die Möglichkeiten für Interaktion oder Reize von außen stark ein, dementsprechend intensiv dreht sich das lyrische Ich um sich selbst, den eigenen Körper, das eigene Erleben. Aufgelockert wird dies teilweise durch einen subtilen Humor, der sich durch die Verse zieht: So laden etwa Konstruktionen wie „ich breche rade das“ zum Schmunzeln ein. Ebenfalls charmant ist, dass das Langgedicht mit einer neuen Zyklus-Überschrift beendet wird, auf die dann nichts Weiteres mehr folgt. Stimmungsvoll angereichert ist der Band durch Illustrationen von Sarah Wruss, welche an die Wellen des Meeres erinnern, die sich gleichsam wie ein roter bzw. blauer Faden durch die Seiten des Buches ziehen.
Ferdinand Schmatz: STRAND DER VERSE LAUF. Gedicht. Haymon, Innsbruck, 2022. 128 Seiten. 22,90 Euro.