»Die Maske ist lieb / ach wenn sie mir nur blieb«
Evelyn Bubich liest Ernst Herbecks Der Hase
Meine lieben LAndsleute Ir braucht keine Axt mehr heben. Das Land verreckt und Du.
Als Ernst Herbeck – auf Aufforderung seines Arztes Leo Navratil – begann, Gedichte zu schreiben, trat damit sein bloßes Empfinden, ein klammheimliches, an die Oberfläche und eine erschütterte Seele bot sich dar in Wortklaub, Sprachbildern und Sinnzusammenhängen, die der Realität durch ihre Entrücktheit paradoxerweise auf eine ungetrübte Art nahekamen.
Cover © Jung und Jung Verlag
»Mein Herz schlug bis auf den heutigen / Tag wirklich normal«, schreibt der 1920 in Stockerau geborene Herbeck, der den Großteil seines Lebens in der Landesnervenklinik Gugging verbrachte. Die bei ihm diagnostizierte Schizophrenie sollte ihn letztendlich in das dort gelegene „Haus der Künstler“ bringen, einen Ort, den Navratil 1981 für jene Patient:innen errichten ließ, die eine Ausdrucksform in der Kunst fanden – und den der Autor Gerhard Roth nach einem seiner zahlreichen Besuche einmal als »weder ganz zur Hölle draußen noch ganz zur Hölle drinnen gehörig« bezeichnete.
Auf einer kleinen Anhöhe gelegen, brachte die Einrichtung zahlreiche, heute international erfolgreiche Künstler:innen hervor, wie den Maler August Walla, der während der NS-Zeit mit Glück die Internierung in der »Jugendfürsorgeanstalt« Am Spiegelgrund überlebte, oder den bildenden Künstler und Zeichner Oswald Tschirtner, der Roth gegenüber während eines Zusammentreffens in unbeirrbarem Tonfall beteuerte, das Wichtigste sei der Friede.
Auch aus den lyrischen Texten Ernst Herbecks spricht neben kaleidoskopischer Rätselhaftigkeit und ungekünstelter Sprachanmut – hingegen einer Spracharmut im Sinne eines verringerten Sprechbedürfnisses, das sich bei Schizophrenie oft ausmachen lässt (auch aufgrund einer Fehlbildung des Gaumens sprach Herbeck nur mit Mühe) – die klar verständlichste Logik und Nüchternheit, die ein Mensch beherrscht.
Das Überwinden der Welt
Der Krieg zerfetzt die Häuser und reisst die Mauern um; Und soll es auch mit den Maschinen und mit den Men- schen tun. Der Mensch legt die Minen, Panzer rollen vor. – Der Mann beherrscht die Waffen und schiesst aus dem Rohr.
Herbecks Umgang mit der oben zitierten Axt würde sich wohl darin auszeichnen, dass diese Neuland schüfe statt eingeschlagene Schädel – als eine Attacke im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinn zu deuten. Der Dichter hat sich der Welt entfremdet, sich mit ihr entzweit, wie sie sich ihm bzw. mit ihm, er muss sie überwinden, wie er selbst der Welt überdrüssig geworden ist. Und er entledigt sich ihr, indem er sie kraft poetischer Hellsicht und gelegentlicher Asymmetrie der Worte bloßstellt.
Die Gespaltenheit ist Arbeit der Ärzte. Diese wird auf den Nenner gebracht die Gespaltenheit ist eine Operation. Und die Kinder wissen es schon.
Tritt man ein in den dichterischen Wald Herbecks, gelangt man auch in ein Wurzelgeflecht rätselhafter Spuren, folgt man zum Beispiel jener des Hasen dorthin, wohin er läuft:
Der Hase lauft und lauft so gerne schnell um dicht zu bleiben auf jener Stell und laufen ist nun noch einmal so schnell als möglich für den Fall der schönen Abstinenz der Jungen. (Hasen)
Oder man folgt jener des »Eiszapfens in Pflege«, aus dem Gedicht »Eiszapfen«, das die gehaltvolle Schönheit eines sich unter der Dachrinne – aber nicht in der bekannten Welt – befindlichen Eiszapfens unprätentiös eindringlich wiedergibt. Im Unterschied zum »Eislaufen im Winter« und »Fahren auf den Skiern« sei dieser Eiszapfen ja »nicht bekannt«, er werde aber »gepflegt« – vielleicht von der Natur selbst, zu seinem Vorteil vielleicht ganz unter Ausschluss menschlichen Zusehens und -tuns.
Präsenz des Abwesenden
Auch Herbeck ist ein Dichter, der seine Präsenz in der Abwesenheit formuliert. So ziehen aber nicht nur Partikel von schwererer Substanz ihre Kreise in der von Gisela Steinlechner herausgegebenen, ursprünglich 2013 erschienenen und 2020 erweiterten, sorgfältig editierten Werkausgabe mit dem ironisch-dynamischen Titel „Der Hase!!!!“. Versehen mit Zeichnungen des Autors und einem Vorwort von Clemens Setz, das förmlich detoniert in seiner Kraft, ermöglichen seine sieben Zyklen einen umfassenden Einblick in das dichterische Werk Herbecks – und schaffen auch den Zugang, Lyrik anders zu denken.
»Die Maske ist lieb / ach wenn sie mir nur blieb«, reflektiert Herbeck mit nicht gar zu stillem Sarkasmus über das, was in seiner Lebenswirklichkeit ganz und gar nicht lieb oder ein Hervorheben „schöner“ Dinge war, sondern die Tragweite dessen, was ein Mensch erdulden muss, wenn er über diese „Maske“ eben nicht verfügt. Der Dichter übt sich in der Abwesenheit in seiner Präsenz, dort fühlt er sich sicher; wäre der oben zitierte »Eiszapfen« nicht bloß von seinem Pfleger oder seiner Pflegerin bemerkt worden, hätte ihn jemand schon längt von der Dachrinne gerissen, ehe er von selber geschmolzen wäre.
Herbeck litt an Schizophrenie. Auch wenn man seiner Weltwahrnehmung mit Skepsis begegnen könnte – seiner Sprache ließe sich trotzdem trauen. Sie ist sein Mittel, eine Welt, der er selbst nicht traut, auszudrücken. Mit Herbecks Worten: »Was über ist / ist das Gedicht selber«. Herbeck war ein »Einzellner« unter den Dichter:innen, die an der Lückenhaftigkeit der Welt zugrunde, ihr aber so auf den Grund gehen.
In dem Gedicht „DER EINZELLNE UND DIE GESELLSCHAFT/10 Thesen“ formulierte er das so: »Ein schöner Hase ist meistens der Einzellne. Er sucht sich einen Anhang, eine Familie. Bis sie im Herbst erschossen werden.«
Ernst Herbeck: Der Hase!!!! Ausgewählte Gedichte. Erweiterte Neuauflage. Hg. von Gisela Steinlechner. Jung und Jung, Salzburg, 2020. 336 Seiten. Euro 28,–