Klaus Ebner liest Eva Lugbauers faschaun farena fagee
Auf den ersten Blick mutet der Titel „faschaun farena fagee“ ja wie ein mystischer Zauberspruch an, doch spätestens, wenn man die Worte in den Mund nimmt, ist klar, dass es sich um einen im Dialekt geschriebenen Lyrikband handelt, und sie einfach „verschauen verrennen vergehen“ bedeuten.
Eva Lugbauer wurde 1985 geboren, wuchs im niederösterreichischen Mostviertel auf und lebt heute in Wien, wo sie Germanistik studierte. 2022 erhielt sie den Theodor-Körner-Preis für Literatur. Der Roman „Und am Ende stehlen wir Zitronen“ erschien 2018 bei Wortreich, der neue Dialekt-Lyrikband „faschaun farena fagee“ in der Literaturedition Niederösterreich. Dieses Buch wurde sehr aufwändig gestaltet: harter Einband, Fadenbindung, Lesebändchen, Farbdruck und Illustrationen von Katharina Zenger (geb. 1978 in Wien). Mit anderen Worten: das Feinste vom Buchdruck.
Cover © Literaturedition Niederösterreich
Für Dialekte gibt es keine festgelegte Orthografie. Aus meiner Sicht wählte die Autorin eine sehr intuitive Schreibung, und so sind die Texte, zumindest, wenn man einen bairisch-österreichischen Sprachhintergrund hat, sehr gut und leicht zu lesen. Was mich gleich beim Einstieg überrascht hat, weil ich das von Dialektlyrik nicht gewohnt bin, ist eine tiefe Emotionalität, die sich schon nach wenigen Zeilen auf die Leser*innen überträgt.
drei schdund samma gsessn en kafeehaus haumma gredt haumma bofed haumma gschaud (…) medde schliddschua samma gfoan en kafeehaus auf den see zwischen uns nua mia zwaa (…) drei schdund und e waas ned wos e gredt hob drei schdund und meine setz hods fawaad
Es geht in diesem Buch um Liebe und Verbundenheit, aber auch um Schönheit und ihr Gegenteil, das „Schiachsein“, es geht um traumhafte Wolkenschlösser und das Vertrödeln von Zeit in einer Welt, in der eigentlich nur Gewinn, Effizienz und Schnelllebigkeit zählen. So bieten Eva Lugbauers Gedichte einen Gegenentwurf zu einem Umfeld, das längst Maß und Ziel verloren hat und in gewisser Weise wohl aus dem Ruder gelaufen ist. Der Dialekt bildet dabei eine Rückzugsmöglichkeit auf von Kindesbeinen an Vertrautes.
Leseanleitung
Das Schriftbild für Texte im Dialekt bleibt aufgrund fehlender Regeln stets ungewohnt. Möglicherweise haben manche Leser*innen Mühe damit, sich gleich so in den Text fallen zu lassen, wie sie das bei standarddeutscher Lyrik tun können. Die gute Nachricht: Diese Anlaufschwierigkeiten gehen vorbei! Wie schon erwähnt, halte ich die gewählte Schreibung für sehr intuitiv; man kommt leicht hinein und gerät in einen Lesefluss, der nur ab und zu von einzelnen Wörtern gebremst wird, weil diese sich nicht auf den ersten Blick erschließen oder bei denen es sich überhaupt um lokale Dialektwörter handelt. Und gelegentlich muss man ein zweites Mal ansetzen, weil die gewählte Wortbetonung nicht auf Anhieb korrekt war.
Alle sind gut beraten, die Texte laut (oder halblaut) zu lesen. Was vielleicht vom Wortbild her nicht klar war, verliert nun schlagartig jede Fremdheit und fügt sich in einen Fluss ein, der von einem starken lyrischen Ich und vordergründig rasch hingeworfenen Kommentaren mit letztendlich außerordentlichem Tiefgang und viel Gefühl getragen wird. Die Autorin verwendet durchgehend Kleinschreibung – was bei der Lektüre gar nicht auffällt – und verzichtet auf Satzzeichen. Da die Verse sehr kurz gehalten sind, kann es nie passieren, dass man sich in einem langen Satz verirrt. So kurz die Zeilen, so lang sind die Gedichte oft selbst. Die meisten reichen über mehrere Seiten und enthalten eine kleine Geschichte. Ein lyrisches Ich spricht, erzählt, lässt sich über etwas aus, raunzt und philosophiert über alles und nichts. Mitten in „fafoeng“ (= verfolgen) heißt es etwa:
imma rena imma rena imma enagii fabrena imma schwitzn und guad riachn nii an schiachn fettflegg haum en zweufe unta s messa haun richd de zaum richd de zaum zaumgrichd kaunsd de daunn foan schbiagl draun
Diese Zeilen sind, wie viele andere auch, ein wunderbares Beispiel für die außerordentliche Musikalität von Eva Lugbauers Texten, welche ebenfalls durch lautes Lesen die größte Wirksamkeit entfaltet.
Höranleitung
Dass viele Texte oder Textpassagen überaus melodisch wirken und manche Wiederholungen in den Gedichten nach Refrains aussehen, ist kein Zufall. Gemeinsam mit dem Duo Zoat, das sind Anna Großberger und Viktoria Hofmarcher, wurden die Texte vertont und auf eine CD aufgenommen, die bei der Volkskultur Niederösterreich erschien. Der Verlag schreibt dazu: „Gemeinsam stehen die drei Künstlerinnen mit einer Performance in Text und Ton auf der Bühne und erwecken das lyrische Ich zum Leben.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Auf der im Anhang angegebenen Webseite kann man in zwei der vertonten Gedichte hineinhören und einen ersten Eindruck gewinnen.
und mia fliang fliang so gean du und i und de sun und da mond und de schdean und de scheam mia ziang miassn ziang mia ziang lossn uns ziang mia faziang und mia fliang
Eva Lugbauer spricht in ihrer Performance die Texte in rhythmisch sehr ausgewogener Weise und wird von den beiden Musikerinnen auf Violine und Klarinette begleitet: eine ungewohnte und sehr ansprechende Kombination; eine Interpretation, die es sich allemal zu hören lohnt. Für jene, die Schwierigkeiten mit dem im Dialekt geschriebenen Text haben, mag die Hörversion sogar die bevorzugte Variante sein, weil das gesprochene Wort der Autorin auf Anhieb zu verstehen ist, während bei manchen Wörtern im Buch womöglich etwas herumgerätselt werden muss, bis ihre Bedeutung klar wird.
Im dritten Abschnitt des Buches, „fagee“, treten zwangsläufig Bedauern, Trauer und Melancholie in den Vordergrund. Auch hier versteht es die Autorin, ihre Gefühlswelt auf Leser*innen und Hörer*innen zu übertragen. Oft werden diese Gefühle durch eine phantasievolle Wendung abstrahiert und verstärkt. Das kurze Gedicht „fagroom“ (= vergraben) lautet:
en deine aung en deina haud en dein boesda en da ead woxn bleamen aus dia
Dieser Text mag in gewisser Weise makaber wirken, und doch können wir uns seinem Sog, der aus einem tief empfundenen Trauergefühl rührt, nicht entziehen. Etwa in der Mitte des Buches wird in „faschdee“ (= verstehen) gefragt:
za woos frog i za woos
Und ich möchte antworten: um des melodiösen Ausdrucks willen, wegen eines emotionalen Feuerwerks, einer lyrischen Dialektsprache zuliebe. Ebendaher sollte man dieses Buch lesen.
Eva Lugbauer: faschaun farena fagee. Literaturedition Niederösterreich, St. Pölten 2023. 192 Seiten. Euro 24,–
Infos zu Performance und CD: https://www.zoatmusik.com/faschaun-farenna-fagee