Nicole Streitler-Kastberger liest Margret Kreidls Mehr Frauen als Antworten
Margret Kreidl (Jg. 1964) lebt in Wien und schreibt Gedichte, Prosa, Hörspiele und Theaterstücke, mit denen sie auch international vertreten ist. Zuletzt etwa 2022 mit der Komödie Dankbare Frauen in Tel Aviv.
Der vorliegende Gedichtband mit dem schönen Titel Mehr Frauen als Antworten zeigt sie als versierte und gewitzte Lyrikerin, die mit der Gattung des Gedichts spielt, insofern als sie „Gedichte mit Fußnoten“ schreibt und damit literarisches mit wissenschaftlichem Schreiben verknüpft.
Cover © Edition Korrespondenzen
Die Fußnoten, die ohne Nummern auskommen, liefern Kontexte zum jeweiligen Gedicht, sei es eine Textreferenz – in Büchern oder Zeitungen – oder ein Entstehungsgrund. Manchmal sind es aber auch witzige Kommentare zum darüberstehenden Gedicht. Ein Beispiel mag das erhellen. Das Gedicht
Wow, ich bin da. Ich auch, sagt mein Hund.
ist mit der folgenden Fußnote versehen: „I am because my little dog knows me, sagt Gertrude Stein.“ Das ist nicht nur witzig, sondern auch erhellend und fördert das Textverständnis. Man mag nun einwenden: Wieso brauche ich Erläuterungen, um ein Gedicht zu verstehen? Nun ja, man braucht sie nicht unbedingt, aber wenn sie da sind, tun sich neue Sinnperspektiven und eben Kontexte auf, die man ohne die Fußnoten vermutlich nicht hergestellt hätte. Durch die Fußnoten folgt man der Autorin Kreidl in ihren Lektüren, in ihrer intellektuellen Biografie, die die Gedichte erst ermöglicht haben. Das ist zweifellos ein Mehrwert, und man wünscht sich fast, das wäre eine gängige Praxis, hängt man doch sonst bei Gedichtinterpretationen oft völlig in der Luft.
Dichterische Parteinahme
Das titelgebende Gedicht – ohne Titel, wie alle – enthält unter anderem folgende Verse:
Frauen, die auf Dächer steigen und singen, keine Bitten, keine Listen, keine Scheherazade, keine Fragen, mehr Frauen als Antworten, eine blaue Vernunft, keine Orangen, kein Messer, ein Riss, der Stoff reißt: Frau! Leben! Freiheit!
Es ist mit der folgenden Fußnote versehen: „Sie zeigen Khamenei den Mittelfinger, Die Presse SPECTRUM, 15. Oktober 2022.“ Damit wird deutlich, dass es sich bei dem Gedicht um eine politische Parteinahme handelt, für die Frauen im Iran, die um ihre Rechte als Frauen kämpfen. Auch das Gedicht wird damit zu einer Kampfschrift, es schreibt sich ein in einen Diskurs, der von Frauen für Frauen geführt wird, ein feministischer Diskurs, den es weiterzuschreiben gilt, damit Gleichstellung endlich Realität wird. In diese Kerbe schlägt auch ein weiteres Gedicht, das die eigene Fußnotenpraxis humoristisch aufs Korn nimmt und eines der gelungensten des Bandes ist:
Keine Morgenröte, keine Gebete, spät ins Bett gehen, spät aufstehen, zu Mittag frühstücken. Frühe Vorsätze. Kein Ehemann, keine Kinder, kein Auto, kein Haus. Der Geliebte schläft in einem anderen Haus. Das Gedicht ist noch nicht aus.
Und die Fußnote setzt fort: „Mit der Fußnote geht es weiter.“
Die Selbstermächtigung und die Liebe
Kreidl ist sich des Unüblichen ihres Vorgehens durchaus bewusst und verweist ironisch darauf. Ihre Texte sind Ausdruck eines weiblichen Schreibens, das die Festschreibungen des Patriarchalen aufzusprengen vermag, nicht nur durch die Form der Gedichte mit Fußnoten, sondern auch durch den Inhalt der Texte, die sich an Klischees und Rollenzuschreibungen abarbeiten. Dass in einem solchen Zusammenhang auch wirkliche Zuneigung, ja Liebe möglich ist – erst möglich ist, durch die weibliche Unabhängigkeit und Selbstermächtigung –, zeigt das Gedicht, das Kreidl in der Fußnote ihrem Lebensgefährten widmet. Es endet mit den Zeilen:
ich sticke deinen Namen als Monogramm in roten Samt, ich stehe in Flammen und flüstere deinen Namen in einen Bilderrahmen.
Der Band ist sehr schön ausgestattet und vom Umfang her ansprechend. Fast wünscht man sich, er wäre noch ein bisschen umfangreicher. Aber Kreidl braucht nicht mehr Raum, um ihren literarischen und intellektuellen Kosmos zu entfalten.
Margret Kreidl: Mehr Frauen als Antworten. Gedichte mit Fußnoten. Edition Korrespondenzen, Wien, 2023. 91 Seiten. Euro 20,–