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Auf der Suche nach Echtem für alle und Langeweile für niemanden

Auf der Suche nach Echtem für alle und Langeweile für niemanden

Markus Köhle liest Tara Meisters Geschafft, Sonne als Winterlektüre


Die junge Dichterin Tara Meister (*1997, Kärnten) legt mit Geschafft, Sonne ihr Debüt vor, demnächst folgt der erste Roman mit dem Titel Proben im Residenz Verlag. Geschafft, Sonne ist der perfekte Titel für eine Winterlektüreempfehlung. Geschafft, Sonne klingt nach Überwindung des Winters, nach Frühlingsanbruch und dem Hintersichlassen einer Durststrecke.

Geschafft, Sonne ruft bei mir augenblicklich die Assoziation „Sonne halt!“ hervor, dem Experimentalfilmklassiker von Ferry Radax mit Konrad Bayer in einer Hauptrolle. Erst „geschafft, Sonne“, dann „Sonne halt!“, quasi Sonne, Augenblick verweile, du bist so schön. Ja, „geschafft, Sonne“ macht sofort warm ums Herz und noch ist das Buch nicht einmal aufgeschlagen. Aber gut, wenn schon kein Bild auf dem Cover ist, kann man dieses schon auch mal loben.

Foto © Markus Köhle

Denn die Reihe „edition spoken script“ im Schweizer Kleinverlag „Der gesunde Menschenversand“ kommt immer ohne Coverbild aus und setzt auf schlichte, grafische Gestaltung des Äußeren und den Texten sehr entgegenkommende, geräumige Gestaltung im Inneren. Ich verfolge die Arbeit dieses Verlags schon seit Jahren, vor allem die auf Sprechtexte fokussierte Reihe „edition spoken script“, und da ich auch schon seit Jahren ein Fan von den Arbeiten und Auftritten von Tara Meister bin, freut es mich sehr, ihren Erstling hier vorstellen und dafür werben zu können.

Tara Meister hat nicht nur in Wien Medizin studiert, sondern auch Literarisches Schreiben am Literaturinstitut Leipzig, sie ist seit Jahren als Spoken Word Poetin auf vielen Bühnen im gesamten deutschsprachigen Raum zu bewundern, aufmerksame Literaturzeitschriften-Leser*innen wird sie ebenfalls schon untergekommen sein, denn sie verschickt und publiziert sehr fleißig und Preise gab es zu Recht auch schon, beispielsweise den Förderpreis für Literatur des Landes Kärnten oder etwa den erostepost-Literaturpreis. 2022 stand sie auf der Shortlist des renommierten Wortmeldungen-Wettbewerbs und ihre Theatertexte wurde auch schon ausgezeichnet (2021 Dramatikerinnenpreis der neuen bühne villach).

Jetzt also: geschafft, erstes Buch, Geschafft, Sonne. Ich hatte schon öfter das Vergnügen, Tara Meister live zu hören, kannte also einige der Texte im Buch bereits und war gespannt, wie sie sich in der Lektüre machten. Natürlich hatte ich dabei ihren Vortragssound im Ohr, verlor mich aber ohnehin sehr schnell zwischen den Zeilen und Worten und fand das schon mal großartig. Ja, die Texte funktionieren als Vortragstexte ebenso wie als gedruckte Texte, die im stillen Kämmerchen daheim gelesen werden wollen. Das Buch eignet sich auch bestens als Begleiter und Outdoor-Lektüre (siehe Foto, Bad Ischl, Naturdenkmal „Baumgruppe am Sterzen’s Abendsitz, am Tag nach dem Weltkulturhauptstadt-Eröffnungsabend).

„mit geschwollenen augen ist die welt klein“, schreibt Tara Meister und macht mit wenigen Worten große Themen auf. Der Grundton der berührenden Texte ist melancholisch. Sie greifen oft auf Erinnerungen zurück, die sich an Dingen aufhängen und das Ding dann zum Symbol machen. So wird beispielsweise in der Erinnerung an die Mutter der „Mürbteig“ ihres Apfelkuchens zum Abbild des fragilen Systems Familie. „Es macht nichts, denke ich und streue Zimt.“ Familie, damit verbundene Carearbeit und Ausbruch aus dem System Familie ist ein großes Thema: „wie halten wir die Wurzeln aus“. Es geht außerdem um Chancenverteilung und Gleichberechtigung, um Abrechnungen und Schlussstriche „aus diesem Alleine-Ich-Sein / in ein Wir oder ein Egal, in einen anderen / Aggregatzustand“, um Unausgesprochenes („nur ist was du Harmonie nennst in Wahrheit Hierarchie“) und Unausgelebtes, um Leerstellen im Leben und das Loslassen von Vertrautem wie etwa der Teenager-Sorglosigkeit. „wir waren zeitgeister“, Tara Meister nimmt Worte in ihren Doppel- und Mehrfachbedeutungen immer wieder auf und nützt den Gleichklang, um mitunter unerwartete Wendungen herbeizuführen. Wendungen, die der in manchen Texten gezeichnete Alltag, der nicht mehr schmeckt, niemals nimmt. „wir dürfen alles, nur nicht: uns wiederholen“

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Tara Meisters Texte sind politisch und zeitlos poetisch, sie fühlen dem Zahn der Zeit auf denselben, reichen den Leser*innen die Hand und führen uns ans Licht: Geschafft, Sonne.

Markus Köhle, 31. Jänner 2024


Tara C. Meister, Geschafft, Sonne, edition spoken script, Der gesunde Menschenversand, Luzern 2023. 152 Seiten. Euro 19.-

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