Die POESIEGALERIE stellt ihren Autor*innen Fragen zum Schreiben
Heute die Antworten von Regina Hilber
1. Schreibst du regelmäßig? Zu welchen Zeiten und an welchen Orten?
Wir sind, was wir sind: Künstler*innen durch und durch. Ohne Uhren.
2. Ist Schreiben für dich eher Handwerk oder Inspiration? Wie passen diese beiden Pole zusammen?
Zumeist harte Arbeit. Nichts fällt mir (uns) in den Schoß.
3. Wo findest du deine Themen? Eher in deinem Leben und unterwegs oder in Büchern und Medien?
Ich kann „das Leben“ (wie in der Fragestellung) nie separieren von meiner Arbeit oder Lektüre. Alles ist EINS.
4. Welche Bedingungen muss ein gelungenes Gedicht für dich erfüllen? Oder: Wann bist du sicher, dass ein Gedicht fertig ist?
Spätestens bei Lesungen aus dem jeweils neuen Gedichtband ertappe ich mich dabei, einige Gedicht spontan kürzen zu müssen. Oft gelingt dieser Kürzungsprozess leider erst nach Drucklegung. Vielleicht muss man Gedichte, wie hochwertiges Rindfleisch, lange „abliegen“ lassen.
5. Trifft auf dich das Diktum zu, dass Dichter*innen Seismographen ihrer Zeit sind – und wenn ja, inwiefern? Anders gefragt: Siehst du für dich als Dichter*in eine Aufgabe in Bezug auf das gesellschaftliche Ganze?
Als politischer Mensch agiere ich auch in meiner dichterischen Arbeit meine gesellschaftspolitischen bzw. sozialkritischen Sensibilisierungsbarometer aus.
6. Kannst du mit dem Satz „Dichten ist ein brotloser Beruf“ etwas anfangen? Oder besteht in deinem Leben eine Spannung zwischen Schreiben und Einkommen?
Damit kann ich überhaupt nichts anfangen: Supermarkt-Kassierer*innen oder Landwirt*innen fragt auch niemand, ob sie davon leben können. Die Frage ist einfach absurd. Warum wird diese Frage ausschließlich Künstler*innen gestellt? Ein Klischee?
7. Welche Autorinnen und Autoren, welche Gedichte haben dich geprägt, fürs Schreiben sowie fürs Leben?
Versuch, Einflussnahme und Inspirationsquellen chronologisch und unvollständig zu ordnen:
In der frühen Adoleszenz (mit 13):
Johannes Mario Simmel und Konsalik (dem damaligen Donauland-Haushaltsbuchverteilungsschlüssel geschuldet), Harper Lee mit Wer die Nachtigall stört (weil es zu Hause rumlag).
Als junge Erwachsene:
Boris Bukowski, Henry Miller, die ganzen Beatniks, aber auch Adalbert Stifter, Pablo Neruda, Thomas Bernhard, Sachbücher über Politik.
Mit Dreißig:
Elfriede Jelinek, Truman Capote (Harper Lees Nachbar), Fjodor Michailowitsch Dostojewski, Anna Achmatowa, Mamlejew, Gavino Ledda, Giuseppe Ungaretti.
Mit 40:
Essaybände von Adam Thirlwell, Susan Sontag und Zadie Smith; Doris Lessing, Clarice Lispector, Dane Zajz, Elisabeth Bishop; Sachbücher über Soziologie.
Während des Erstellens obiger Lektüreliste lassen sich selbst für mich zwei Signifikanzen feststellen: Während ich als jüngere (und erst noch zu werdende) Schriftstellerin ganz offensichtlich Werke von männlichen Autoren bevorzugte, hat sich das sehr geändert, hin zur primären Lektüre von Autorinnen, Dichterinnen, Essayistinnen. Ganz sicher hat das auch damit zu tun, dass in den Achtziger- und Neunzigerjahren vornehmlich Werke von männlichen Autoren besprochen, beworben, ausgestellt und angepriesen wurden, während Autorinnen mit ihren Werken (selbst nach Zuerkennung eines Literatur-Nobelpreises) als „Frauenliteratur“ verunglimpft wurden. Ich lese aber auch aus meinem persönlichen Leseverhalten der letzten Jahrzehnte heraus, dass eben jener „wilde Mix“ an Lyrik, Prosa und Publizistik mein „dichterisches“ Schreiben geformt hat.
8. Woran schreibst du gerade bzw. woran hast du zuletzt geschrieben?
Ob sich mein gegenwärtiges Schreiben durch die Lektüre essayistischer, publizistischer Werke beeinflusst hat oder ob die Stringenz innerhalb des dichterischen Arbeitens nach einem Ausgleich schrie – eine aktuelle Tendenz hin zum publizistischen Schreiben kann ich nicht leugnen – die Dichterin in mir (das lyrische Schreiben) lief und läuft stets parallel mit und schafft als Ausgleich wiederum Motivation für einen neuen Gedichtband. Oder ist es gar umgekehrt? Vielleicht habe ich für mich herausgefunden, dass ich mich sehr wohl in zwei sehr konträren Genres bewegen kann, die Dichtung mich aber da hingeführt hat, wo ich heute stehe. Im Moment arbeite ich parallel an einem neuen Lyrikband und (in den Endzügen) an meinem Essayband Am Rande – Zwischenaufnahmen aus der Mitte Europas, der im Sommer 2024 erscheinen wird.
9. Gibt es eine Frage, die du dir gerne selbst stellen und beantworten möchtest?
Who next? What next?