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Der Mensch, das dichtende Tier.

Der Mensch, das dichtende Tier.

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Reinhard Lechner liest Alexandra Bernhardts Zoon poietikon


Die neuen Gedichte von Alexandra Bernhardt schließen an die Tradition des Bestiariums an. Und die Dichterin verleiht ihm ihre eigene, bereits bekannte Stimme in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik. Fünfzig Gedichte widmen sich fünfzig bekannten Tieren, vom Adler bis zum Zebra.

Den Menschen in seinen Eigenschaften und vor allem in seinen Eigenheiten als poetischer Naturforscher zu betrachten (in der Antike), die Tiereigenschaften mit der christlichen Tradition zu verknüpfen (im Mittelalter), das war und ist Sinn und Zweck von Bestiarien, der ursprünglich eben antiken Tierdichtung. Uns Leser*innen mittels Metaphern, Gleichnissen und Allegorien etwas über das Tier und so über uns Menschen zu sagen.

Cover © Sisyphus

Das Tier, das von Bernhardt für das Eingangsgedicht gewählt wird, ist, man kann es mit einem gewissen Augenzwinkern lesen, der Mensch selbst:

Zoon poietikon

Der Mensch
ein Tier
gemacht
dem Wort
gesponnen
aus dem
Widersinn
gedacht
der Sprache
machtvoll
Fleisch

Sprache ist poetisches Programm

Mit dem Eröffnungsgedicht kündigt die Dichterin es an: Ihr poetisches Programm ist – neben dem Tier-Mensch-Gleichnis – vor allem die Sprache. Lesen wir das Gedicht „Huhn“, um uns weiter ein Bild davon zu machen:

Huhn

Beseelt
von Körnern
Samen Suchen
spelzt du Silben
in den Sand : so
lebenssatt bestellst
du heiter dein
Revier im Gras
später sitzt du
dann auf
Bäumen

Auch hier kommen Bernhardts Motive zum Vorschein: im Vergleich zum Tier den Menschen abzubilden, weiters die menschliche Sprache und die humanen Grundmotive. Im Schlussvers vom Huhn, das auf Bäumen sitzt, stecken nicht zuletzt das kindliche Vergnügen, Bäume zu erobern und eine Sehnsucht nach dem Blick in die Weite, wie Caspar David Friedrich sie malte.

Als literarische Form besitzen die zahlreich erschienenen Bestiarien eine lange Tradition bis in die Gegenwartsliteratur hinein. Ein Bestiarium von 2017 stammt vom bekannten österreichischen Autor*innenpaar Monika Helfer und Michael Köhlmeier, Der Mensch ist verschieden. Braucht es noch eines mehr? Oder anders gefragt, wie legt die Dichterin ihres an? Wie knüpft sie an die Tradition an und schafft es, mit ihrer Form und Stimme dieser etwas Neues, Eigenes hinzuzufügen?

Die Ankündigung lautet, der Mensch als Zoon poietikon solle bedichtet werden. Ein ebensolches Zoon politikon sei der Mensch, heißt es bei Aristoteles, ein soziales Lebewesen, das im politischen Verband lebt und seine Welt in der Gemeinschaft gestaltet. Bernhardt leitet davon das schöpferische, das dichtende Tier als Topos ab.

Vögel im Mittelpunkt

Dabei fällt auch auf: Sie ist eine Vogelliebhaberin. Von den fünfzig Gedichten sind zwölf Gedichte Vögeln gewidmet, eines der Drossel:

Drossel

Ach
wie träumte ich dich
süßen Vogel
im werdenden Morgen
meines Aprils
als waren andere Sterne
über uns
und in den Wäldern
wohnten noch
Spiele

Hier stoßen wir auf zwei sinnlich-ästhetische Grundbedürfnisse des Menschen, nämlich auf das Träumen und auf das Spielen. Mit dem Vogel-Motiv drückt die Dichterin wie beim Gedicht „Huhn“ eine menschliche Sehnsucht danach aus – der Vogel steht für das Freisein, für das Fliegen (das Huhn ist übrigens auch ein Vogel, wenn auch ein flugunfähiger). Womöglich gehen uns die Fähigkeiten zu träumen und zu spielen in der Gegenwart zunehmend verloren.

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Wie macht sich Bernhardt das Bestiarium auf formaler Ebene zu eigen? Die gebürtige Bayerin, studierte Philosophin sowie Sprach- bzw. Literaturwissenschafterin in mehreren Disziplinen, ist bekannt als eine Dichterin der Form. Man denke an den Lyrikzyklus „trutzlichtigall“, mit dem sie beim Meraner Lyrikpreis 2021 angetreten ist. Jedes der sprachlich hoch verdichteten, kürzesten Gedichte des Bandes ist dort in der Form eines Schiffbugs angelegt. Ihr Formbewusstsein zeigt sie uns auch nun wieder. In Zoon poietikon ist jedes Gedicht nur fünfzeilig bis maximal fünfzehnzeilig und besitzt einen rechtsstrebenden Textkorpus.

Bernhardt kann auch den uns scheinbar vertrautesten Tieren eine zugleich bekannte und doch unerwartete, mitunter ängstigende Facette abgewinnen, so etwa unserem liebsten Haustier:

Hund

Blut 
ist der Trank
deiner Wahl : du
kennst seinen Weg
in der Welt du folgst
seinem Klang und horchst
auf sein Lied : das singt dir
beständig Ahnung ein
was Spur was Ziel
was Beute
sei

Auch hier werden von der Dichterin traditionsbewusst althochdeutsche Nomen wie „Trank“ gesetzt. Dem Gedicht verleiht dies etwas Altehrwürdiges, auch Schauerliches, wird der Hund, der engste animalische Freund des Menschen, dermaßen als auf Blut determiniert bedichtet.

Tradition fortschreiben

Traditionsbewusst der Form Bestiarium verschrieben und doch beeindruckend zeitlos ist Bernhardts neue Lyrik. Die studierte Komparatistin wollte nie eine Dichterin mit „neuem“, aufregendem Sound sein. Vielmehr gelingt der Autorin auch mit ihrem neuen Buch wieder ein Rückblick auf die Tradition und ein Anknüpfen daran, eine Weiterentwicklung dieser. Man hat da quasi das Gefühl, man ist „live“ dabei, wie ihre Gedichte die Geschichte der Dichtung fortschreiben. Schnörkellose Dichtkunst, Handwerk vom Feinsten: eine klare Empfehlung.


Alexandra Bernhardt: Zoon poietikon. Gedichte. Sisyphus, Wien und Klagenfurt, 2024. 112 Seiten. Euro 12,–

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