Klaus Ebner liest Katrin Bernhardts Fremdwerden
Der Titel des Buches, Fremdwerden, drückt einen Zustand aus, eine Entwicklung, die immer mehr Menschen unserer Gesellschaft mitreißt. Es geht um Befremdliches in der Politik sowie an der geopolitischen Lage. Wer das Radio einschaltet oder Nachrichten schaut, möchte am liebsten gleich wieder abdrehen. Katrin Bernhardts Gedichtband fasst die Ursachen der Befremdung eindringlich zusammen.
Katrin Bernhardt wurde 1982 geboren. Sie studierte Klassische Archäologie und Philosophie und lebt als freischaffende bildende Künstlerin und Schriftstellerin in Niederösterreich. Bernhardt publiziert in Anthologien, Literaturzeitschriften und im Rundfunk, und sie veröffentlichte mehrere Lyrikbände und einen Prosaband sowie das Bilderbuch Dori Dachs ist heute faul. Der Gedichtband Fremdwerden erschien in der burgenländischen edition lex liszt 12, wie zuvor schon Auf bittere Haut geschrieben und Aufbrechen.
Cover © edition lex liszt 12,
Die Themen des vorliegenden Bandes sind zwar befremdlich, aber keineswegs fremd. Leider, möchte man sagen, doch es ist gut und wohl wichtig, dass die Autorin den Finger genau dort drauflegt, wo es wehtut. Corona und die damit verbundenen Maßnahmen sind ein zentrales Thema, das einen Großteil des Buches beherrscht. Diese Thematik hielt Österreich und die ganze Welt lange Zeit in Atem; sie sorgte für Ängste, Schulschließungen, Hamsterkäufe und Lockdown-Maßnahmen. Das Wettrennen bei der Entwicklung geeigneter Impfstoffe war in den Medien mitzuverfolgen, ebenso wie die zunehmend aggressive Diskussion um Impfung – Ja oder Nein. Gebannt heischte das ganze Land nach Neuigkeiten; in einem Gedicht heißt es dazu:
Wir lauern auf News Was tut sich da draußen? Wie sind die Zahlen? Wie viele Tote? Werden die Betten reichen?
Es geht um Ängste und deren Verdrängung. Und es geht um die Reaktionen der Politik, aber auch der Bürger*innen im Allgemeinen. Katrin Bernhardt verzichtet dabei auf Schnörkel und doppelbödige Anspielungen; ihre Texte sprechen die Umstände ganz konkret an, sogar die Namen vieler Personen werden unverblümt genannt. Manches liest sich dadurch wie eine Chronik, die auch mit Ironie gewürzt sein kann:
Ich sehe die Nachrichten und denke an das Vorjahr Kurz ist nicht mehr Anschober ist nicht mehr Stattdessen: Schallenberg & Mückstein [sic!] klingt wie ein Kabarettprogramm Hofer & Strache klingt wie ein Bauunternehmen Alle unter ferner liefen
Vom Wort zum Argument
Die Gedichte bestehen aus freien Rhythmen. Satzzeichen kommen mit Ausnahme von Frage- und Ausrufezeichen nicht vor. Jedes Gedicht beginnt mit einem Großbuchstaben, ebenso der eindeutige Satzbeginn innerhalb eines Textes. Nur wenige Gedichte tragen einen eigenen Titel, während die meisten direkt ins (lyrische) Geschehen springen. Viele sind relativ lang und erstrecken sich über zwei Seiten. Die kurzen Zeilen bringen alles auf den Punkt, und doch sprüht daraus manchmal ein vergnüglicher Zynismus:
Die österreichische Lösung sieht vor in einem Lockdown die Skigebiete zu öffnen Denn Sport an der frischen Luft ist gesund (…)
Die Kritik der Autorin zielt nicht nur auf mitunter fragwürdige Maßnahmen der Regierung ab, sondern auch auf Teile der Bevölkerung, die einerseits die Gefährdung nicht ernst nahmen oder andererseits angebotene Impfmöglichkeiten ignorierten; ein Gedicht führt Zahlen über die bereitgestellten Impfdosen auf und stellt sie den tatsächlich durchgeführten Impfungen gegenüber, die gerade mal ein Zehntel ausmachen. Auch hier klingt es bisweilen sarkastisch, was Leser*innen zumindest einen Lacher entlocken könnte:
(…) In der Impfung sei Gift In 20 Jahren hätten alle Geimpften Krebs sagt die Dame und zieht genüsslich an ihrer Zigarette (…)
Aussagen von Ministern, die bei jedem vernünftig denkenden Menschen ungläubiges Kopfschütteln hervorrufen, werden gegeißelt. Die Methode, die Bernhardt dafür verwendet, ist eine sehr direkte: Sie berichtet, gibt wieder, was man eigentlich schon kennt, aber entweder längst vergessen (oder verdrängt) oder noch nicht so eindringlich im Gesamtzusammenhang gesehen hat. Die im Text zu Wort kommenden Verantwortlichen brauchen gar nicht frontal angegriffen zu werden, denn sie desavouieren sich selbst.
Widersprüche bei den Maßnahmen, Angstmacherei, die bald darauf entweder von Virologen oder den Politikern selbst relativiert werden musste, und angesichts all dessen eine Bevölkerung, der die Ereignisse immer fremder werden und die dadurch verunsichert wird und ein Trotzverhalten entwickelt, weil anscheinend eh alles egal ist oder zumindest wenige Tage später revidiert wird.
Vom Virus zum Krieg
Katrin Bernhardt gliedert das Buch in zwei Abschnitte. Der erste, viel umfangreichere, ist „den Menschen“ gewidmet; der zweite dann „der Natur“. Das Thema Coronavirus wurde durch den russländischen Überfall auf die Ukraine gänzlich aus den Medien verdrängt. Die Gedichte des ersten Abschnitts machen es noch einmal deutlich: Was zuvor immens wichtig war und alle beschäftigte (das Virus), trat ganz plötzlich in den Hintergrund, weil der russländische Diktator verbrecherisch um sich schlug und die ganze Welt mit einem Atomangriff bedrohte und bedroht. Es hat schon viel Wahres, wenn es heißt: „Nicht viel später / werden wir Krieg / in Europa haben / Nicht gegen ein Virus / Mensch / gegen / Mensch“.
Die Befremdung der Autorin und folglich der Leser*innen bezieht sich daher auch auf die Kriege in der Welt und auf die Niederknüppelung demokratischer Rechte. Demos für Bürger- und Menschenrechte sind „out“; Gewalt regiert, und es gilt allerorts wieder das Recht der Stärkeren.
Im Kampf um ihre Rechte werden Schwarze von Uniformierten niedergeknüppelt Mit den weißen Rednecks schießt ein Polizist nach der Erstürmung des Kapitols Selfies
Erst der zweite und sehr kurze Abschnitt des Buches wendet sich der Natur und damit verbunden der Umweltverschmutzung und dem Klimawandel zu. Diese Gedichte klingen aber auch in ihrem Ton etwas anders. Sie sind nicht mehr so konkret wie die vorigen Texte, schaffen überaus gefühlvolle Bilder und verwandeln die Wehmut der Fremdwerdung in reine Poesie:
Einsilbiges Seegras Luftleeres Ufer Ferne mit Schwermut Libellen beraubt Andermal irdisch mittlerweile ewiglich tieftraurig trocken
Ebenso melancholisch und schön wirkt das Ende des anschließenden Gedichtes:
(…) Das Universum kümmert sich nicht um unseren Verbleib es denkt in Milliarden Wir aus Sternenstaub gemacht zu diesem zurückkehrend Nur ein Wimpernschlag mehr nicht
Der Lyrikband Fremdwerden, dessen Texte auch schon mal wehtun dürfen, wurde von der burgenländischen edition lex liszt 12 gekonnt und wundervoll ästhetisch in Szene gesetzt. Das Coverbild stammt vom bildenden Künstler Josef Bernhardt, zu dem ebenfalls eine Biografie enthalten ist.
Katrin Bernhardt: Fremdwerden. edition lex liszt 12, Oberwart, 2024. 108 Seiten. Euro 18,–