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Maria durch QR-Codes ging

Maria durch QR-Codes ging

Rhea Krčmářová liest Kinga Tóths Anamaria singssingtenekel
als Sommerlektüre


Der Wäscheständer weckte mein Interesse, aufgestellt auf der Bühne des unteren Raums in der Alten Schmiede. Bereit für die Autorin und intermediale Künstlerin Kinga Tóth, die das Gerät im Rahmen ihrer Performance beim Hör!Spiel! Festival im März 2024 benützen würde. Begleitet von – im Rahmen des präsentierten Projekts entstandener – Videokunst, las/sang/loopte Kinga Tóth Texte aus ihrem multimedialen Lyrikband AnnaMaria singssingténekel und benutzte den Wäscheständer bei einem Gedicht als subtiles Perkussionsobjekt.

Als jemand, die selbst transmedial arbeitet, wollte ich mehr über Tóths Gedichtband wissen, der nicht nur diverse Medien vereint, sondern auch drei Sprachen: englisch/deutsch/ungarisch, und sich mit weiblicher Spiritualität im christlichen Kontext beschäftigt. Mein Interesse für Mythologie schließt auch Religionen und ihre Mysterien ein, und ich war neugierig, welchen Ansatz Kinga Tóth für ihre Gedichte suchen würde.

In einer Indiegogo-Kampagne, in der Tóth finanzielle Unterstützung für den Druck des Buchs suchte, beschrieb sie vor einigen Jahren den Gedichtband als „an art object between poetry and art, containing my visual, sound, and performative works from the last three years about nun art, recycling, nature, and the everyday life and issues of being a woman. This book is a modern “prayer book” with humor but also talks about environmental, and ecological issues in our present life”.

Foto © Rhea Krčmářová

wir sind die neuluft menschenmordender mottenpulverdampf
mit gesprühtem schleim decken wir die plastikwände zu
auf holzpflöcke lassen wir uns herab wir beten wenn er kikerikit
bei tagesanbruch schießen wir hoch und löchern das dach

Wer beim Titel religiöse Assoziationen hat, liegt also richtig: Seit 2015 beschäftigt sich die ungarisch-stämmige, in Berlin lebende Künstlerin mit dem Leben im Frauenorden, besuchte diverse Klöster im deutschsprachigen Raum. Sie sei fasziniert, schreibt Tóth, von der Kunst und dem Leben der Nonnen, den „Horen“, der täglichen Praxis mentaler und physischer Aktivitäten wie Beten und Arbeiten. Tóths Interesse an dieser Form des „verschlossenen Lebens“ ist nicht nur künstlerischer Natur (das Thema Frauen im Kontext mit Kultur, Politik und Gesellschaft ist ein Schwerpunkt ihrer Arbeit), seit 2021 schreibt sie zum Thema auch eine Doktorarbeit an der Universität von Debrecen in Ungarn. Ihr Buch versammelt Dokumentation und Kunstwerke dieser Annäherungen, recycelte Objekte, Gebete und Texte, Gesang, Klangpoesie und Performances. „A multi-medial prayer and good wishings for a better world: this is what AnnaMaria sings for.“

Die Gedichte las ich an flirrend heißen Sommertagen, auf meinem Penzinger Sofa, das mir bei den unchristlichen Außentemperaturen zum Zufluchtsort wurde. Ein oder zwei Mal erwischte mich beim Lesen die Sehnsucht, meine selbstgenähten Zierkissen und aufgeheizten Altbauwände gegen die Kühle mittelalterlicher Kirchenmauern und glatte Holzbänke tauschen zu können.

mit knochen ersetzen mit streifen schweißen
wir kneten gold beim bruch wo es angebohrt wurde
was rausfiel wo du dachtest als du
nicht zu fragen wagtest nur das tal gesehen hast
den dunkelkummer steine stauben als du
immer tiefer kletterst sind die wasserpflanzen getrocknet

Tóths transmedialer Gedichtband ist in sieben Teile aufgeteilt: Marienlieder / Seelenübungen / Sprechübungen / Annamaria singt / Schwestern / Memento / Sonntag. Die Übersetzungen sind recht präzise, aber zumindest in der deutschen und englischen Version nicht zu 100% wortident (über die ungarischen Gedichte kann ich leider nichts sagen, Google Translate ist mit Tóths komplexer Sprache absolut überfordert).

ott laksz-e a francia katakombákban elválasztották-e
a fejed nyakadtól hagytad-e a gyöngysorok
biztosan nem engedték kulcscsonttól az állig gyöngyök

Die Gedichte versuchen keinesfalls, den strikten Ablauf eines Klostertags eins zu eins zu erfassen, sind kein Blick durchs Schlüsselloch in abgeschlossene Lebenswelten. In meinen Augen suchen sie eine Essenz, spielen mit Elementen christlicher Mythologie, archaischem Glauben, um sie gleich wieder zu brechen, durch den Einsatz moderner Wörter und Bilder.

daran binden sie den brennenden mensch aus gras
schöne geister gute geister in flechten
drehen wir die haare kommt zurück
in die lebendigen in die toten als propeller
kreist unsere zunge kinder stoßen
unsere hüften und lächeln uns an

Die Gedichte verzichten in allen drei Sprachen auf Satzzeichen, deutsche Nomen werden konsequent klein geschrieben, der deutsche Text ähnelt so vom Schriftbild her den anderen Sprachen. Phrasen und Bilder wie

See Also

muttermeinemutter ich habe keine worte muttermeine
ich lasse nicht zu mein nabelloch narbeninneres
aus nägeln bedecke ich seinen boden
sprieße es nicht lass es keine wurzeln schlagen und nicht

gleiten ineinander über, ganze Absätze scheinen wie ein einziges, zusammenhängendes, komplexes Satzgeflecht, erinnern mich teils an sich manchmal endlos anfühlende gregorianische Choräle, teils an komplex ineinander verflochtene, vielstimmige Messen. Tóths Sprache ist nicht spirituell-ätherisch, sondern zutiefst sinnlich, spricht von Narben und Hautlöchern, von Samen und Abszessen, was mich, für die das Beschreiben weiblicher Körperlichkeit ein wichtiger Bestandteil meiner eigenen künstlerischen Erforschung ist, sehr berührt.

i spackle my walls solid churn the coffee ground the soil
until it fills my skinholes it heats
and cools the abscesses in the pot
rootworms slush the seeds the wet
seeds crack my irrigations
bud in seeds all my scars covered
in moss amber leaves protect the vision

Die Fotos, die die Gedichte begleiten – auch Selbstportraits von Tóth – spielen ebenso subtil mit den Elementen christlicher Bildsprache wie die Gedichte. Mit Textstreifen überzogene Reifen erinnern an Blumen- und Weihnachtskränze, an Braut – und Totenkronen. Rosenkränze umwickeln Spargelstangen und Speisepilze, kleine Votivmedaillons finden sich ebenso wie großformatige Schwarzweißbilder von aus Wolken brechenden Sonnenstrahlen oder abstrakte Illustrationen. Neben den Fotos finden sich im Buch auch strategisch plazierte QR-Codes, die zu Klang- und Videopoesie führen, um den Text, so Tóth, „lebendiger“ zu gestalten.

Diese Videos laden ein, die Gedichte ein zweites Mal zu lesen, im neuen, erweiterten Kontext.

Hören und sehen kann man Kinga Tóth (auf Einladung von Günter Vallaster und mir) bei der Poesiegalerie im Herbst. Ob sie den Wäscheständer mitnimmt, steht noch zur Debatte.

Wer sich für das Buch von Kinga Tóth interessiert, kann es über folgende ungarische Website bestellen: https://www.praekiado.hu/termek/annamaria-sings-singt-enekel/

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