Now Reading
Alles will schlingern oder „die luft […] beißt den dampf in die nase“ 

Alles will schlingern oder „die luft […] beißt den dampf in die nase“ 

Christian Steinbacher liest Hans Arps Gesammelte Gedichte
als Sommerlektüre


Zur Einstimmung auf ein Stipendium am Arp Museum Bahnhof Rolandseck bedachte ich als „Sommerlektüre“ ein Wiederlesen der Gesammelten Gedichte von Hans Arp (1886–1966). In der Bibliothek des Museums bemerke ich dann das Buch Wörter mit und ohne Anker, und diese 1957 im Limes Verlag erschienene Auswahl ließ mich über eine preiswerte Neuauflage als Taschenbuch im Heyne Verlag 1979 in den frühen 1980er-Jahren Arps Dichtung erstmals begegnen. Nach Erwerb der dreibändigen Ausgabe der Gesammelten Gedichte habe ich dieses Buch abgegeben. Ich erkenne das Cover wieder und erinnere mich, wie umwerfend mich diese Texte damals erreicht haben.

In der aktuellen Re-Lektüre wollte ich mich auf die „Konfigurationen“ konzentrieren, und, siehe da, entgegen den Gesammelten Gedichten, wo ich zwischen den Bänden hüpfen muss, eröffnen dort sogleich alle sieben als Konfiguration betitelten Texte, was mir nicht mehr bewusst war.

Sie, die mich nach wie vor beschäftigen, gaben also den gebündelten Beginn meines ersten Einstiegs in das Lesen von Arp.


Auch einige weitere Texte gerade jener Auswahl nahmen mich sogleich ein. Größtenteils finde ich sie heute im Band II der Gesammelten Gedichte, den ich für ein Foto für die Poesiegalerie vor dem Schild des Arp-Platzes in Straßburg in die Höhe halte.

Foto © Christian Steinbacher

Der Band ist leider auf dem digitalen Pfad (noch) nicht zu erreichen, jedoch, und das sei Interessierten empfohlen (bestellbar dürften aktuell ja nur zwei kleinere Bände mit vor allem Übersetzungen französischer Texte im Mitteldeutschen Verlag und im Rimbaud Verlag sein), ist der auch die frühen Konfigurationen enthaltende Band I als Digitalisat auf monoskop.org abrufbar.

Arps dichterisches Werk weist mehrere Phasen auf, und die Gedichte lassen sich verschieden fassen. Auf mich Einfluss hatte vor allem die Art, wie Arp formale Handhabungen in den Vordergrund treten lässt. Texte können sich dabei in Richtung einer Konkretion entwickeln, die zu Versetzungen und Verschmelzungen von Bildern und Wörtern führt, was ein Spiel wechselnder Relationen eröffnet, das Verwerfungen ebenso wie neue Zusammenhänge inszeniert, und zwar nicht als Darstellung einer bestimmten Welt, sondern der schöpferischen Energie selbst.

 Nicht umsonst ziert den Umschlag des erwähnten Taschenbuchs ein Treiben lichter Wolken, denn viele der Texte scheinen sich analog zu einem solchen Treiben zu bewegen, wobei die Gelenke der Texte als ein Legen wandernder Elemente ersichtlich bleiben. Konfiguration ist für die EDV-Menschen von heute ein geläufiges Wort. Zu Arps früher Zeit zielte das im Poetischen ungebräuchliche Wort aber sicher auf eine eigens zu markierende Hinwendung zu einem Entwurf einer Konkreten Literatur. Im Folgenden versuche ich Betrachtungen zur ersten der Konfigurationen:

     verschlungene knaben blasen das wunderhorn
     engel in goldenen schuhen leeren säcke voll roter steine in jedes glied
     schon bilden sich maste und sternbilder
     die schwestern zeigen spuren von luftschlössern geldkatzen findlingen dampfkuhbissen 
gesattelten hasen frisch gepolsterten löwen
     auf flammenden speichen rollen vögel über den himmel
     sterne niesen aus ihren wachsnasen blumengarben
     betrunken sind mann und maus und schwimmen an weichen fingern
     brennende löwen sausen über zitternde birken
     wer einen schwanz hat bindet sich eine laterne daran
     die ganze nacht wird auf dem kopf gestanden rittlings auf drachen getanzt
     stangenklettern und leiblicher ringkampf erfüllen die nacht mit wauwau

Auszug aus der „Wunderhornkonfiguration“, Gesammelte Gedichte I, S. 190

Wenn in der Wunderhornkonfiguration von 1918 die das „wunderhorn“ blasenden „knaben“ im ersten Eintrag der ersten Strophe als „verschlungene“ aufgerufen werden, so ist mit diesem allerersten Wort des Textes auch eines der wesentlichen Kriterien für ein Bestimmen der Konfigurationen als eigener Sorte Text angesprochen. Der texteröffnende Eintrag lässt zudem den Titel der Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn von Achim von Arnim und Clemens Brentano von 1805–1808 in Erinnerung rufen (schon der noch junge Arp beschäftigte sich bekanntlich mit den Arbeiten der Heidelberger Romantik), in deren Liedern ja auch Prinzipien einer variierenden Wiederholung zu entdecken sind. Vor allem über die Wortwahl – „stangenklettern und leiblicher ringkampf erfüllen die nacht mit wau-wau“ ist als letzter Eintrag der ersten Strophe zu lesen – ließe sich das Attribut „verschlungen“ in dieser ersten Arp’schen Konfiguration etwa über Komponenten der Sexualität interpretieren. Von solchen (und allen anderen) Deutungen unabhängig geht es dabei aber auch und vor allem um ein Spiel aus (das Knäuel des Textes durchwandernden und es dabei zugleich entstehen lassenden) Kontaktnahmen von Wörtern, und diese setzen in ihrem Wechsel eine Art Schlingern in Gang. In anderen Arbeiten des Dichters ist dieses Prinzip gleichfalls ein Antriebsmittel, insbesondere eigen aber ist es eben der von ihm als Konfiguration benannten Sorte Text. Auch in den anderen der insgesamt sieben in den Gesammelten Gedichten enthaltenen sogenannten Konfigurationen werden Textelemente als eben dadurch „verschlungene“ unentwegt in andere, weitere Positionen gebracht. Das Spiel mit Repetition und Varianz zeigt sich dabei vor allem als (oft auch weitmaschiges) Versetzen und Wechseln, das nicht etwa nur Wörter betrifft, sondern ebenso Strukturelemente und die Weisen des Versetzens selbst.

See Also

„verschlungene“ begegnet ein weiteres Mal im vorletzten Eintrag der dritten der sechs Strophen respektive Abschnitte (unter anderem auf Grund ihrer Disparatheit seien die Strophen nun schlicht Abschnitte genannt). Nicht „knaben“ verbinden sich bei dem neuerlichen Aufkommen mit dem Wort, sondern es wird mit „schuhe glieder nasen finger schwänze“ gleich eine ganze Wortreihe zur Ergänzung von „die verschlungenen“ aufgeboten. Alles Wörter, die im Text bereits vorgekommen sind: „glieder“ und „schuhe“ im ersten, „nasen“ und „finger“ im ersten und im zweiten Abschnitt, und „schwänze“ schließlich nicht nur – variierend (!) im Singular – als neunter Eintrag des ersten Abschnitts („wer einen schwanz hat bindet sich eine laterne daran“), sondern auch in den ersten fünf Einträgen des dritten Abschnitts. Als Reihe zeigen sich alle fünf Wörter dann wie gesagt im vorletzten Eintrag dieses Abschnitts, der mit „sie beweisen hinreichend das wunder“ noch einen letzten Eintrag enthält. Das Pronomen „sie“ zielt auf die vorangegangene Wortreihe als einen zeilenfüllenden Eintrag, der (entgegen den Bauprinzipien dieser Konfiguration) kein Verb enthält, wodurch der letzte Eintrag mit seinem schwungvoll einsetzenden „sie“ die durch den verb-losen Passus angehaltene Bewegung wieder in einen syntaktischen Verlauf bringt. Beachtenswert mag sein, dass das Verb „beweisen“ kein weiteres Vorkommen im Text aufzubieten hat, sodass sich ein „hinreichend[er]“ Beweis auch durch diese Art Einzelstellung ergeben kann. 

Solche Beobachtungen mache ich an diesen Texten, und das beschäftigt mich so wie auch einige andere Aspekte der zwischen DADA, Surrealismus und Konkreter Dichtung siedelnden Arp’schen Poesie. Allesamt – und Hans Arp war ja auch Bildhauer – sind es Wege im und durch den Raum. Die Konfiguration erweist sich dabei mehr als Mosaik denn als Gedicht, fehlen doch etwa übergreifende Zeilensprünge. Und die Disparatheit der Längen der Teile gibt eine Art lebendiges Nicht-Maß wie die einfachen Wörter eine voraussetzungslose Welt ohne allen Verweis.

Wörter gehen in diesen schlingernden Verläufen immer wieder neue Allianzen ein. Auch vorübergehende Epitheta finden sich darunter, etwa die „gepolsterten löwen“ oder die „gesattelten hasen“. Letzteres Bild befremdet etwas, weil „hasen“ ja fürs Erste nicht als Reittiere gedacht werden. Trotz ungebräuchlicher Koppelungen sind diese durch ein sprachliches Versetzspiel gewonnenen Bilder, schiebt man die Barrieren des Gewohnten beiseite, relativ leicht zu veranschaulichen. 

Ähnliches trifft für den neunten Eintrag im dritten Abschnitt zu, wo Mäuse sich aus Wachs eine Katze bilden, um rittlings auf ihr zu tanzen. Der dem nachfolgende Eintrag macht es dagegen schon schwerer, da dort nicht etwa ein Lebewesen, sondern die Luft selbst es ist, die aus ihrem Sattel steigt – dorthin hat es also das Gesattelte der Hasen verschlagen, denn „sattel“ ist auch eines der Wörter, die genaugenommen kein zweites Mal in dem Text vorkommen, sofern man sich nicht von der Wortart löst und das Nomen einem größeren Verbund zurechnet, der das Adjektiv „gesattelt“ enthält – und den Dampf in die Nase beißt. Aber selbst so ein Vorgang ist zu veranschaulichen, und gerade die etwas schwerere Umsetzung der Veranschaulichung macht ja einen der grundlegenden Reize solcher Dichtung aus.

Hans Arp: Gesammelte Gedichte I–III, Zürich und Wiesbaden: Arche/Limes 1963, 1974, 1980 (alle vergriffen; Band I abrufbar als Digitalisat unter https://monoskop.org)

Scroll To Top