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GRODEK oder: UNWRITTEN FUTURE

GRODEK oder: UNWRITTEN FUTURE

Für Georg Trakl, zum 110. Todestag am 3. November
von Erika Wimmer Mazohl


grodek 


an der straße nach grodek
blühen die kastanien
und in den pappeln 
nisten die misteln

die brütende fahrt
kostet wenige hrywnja 
und oder es tropft 
das plastik aus sitzen

die hitze versengt die  
wanzen / ach mädchen / 
dir folg ich den weg 
hinaus zur baracke

und händeringend der
dichter zwei schüsse
und oder es schießt
das blut der soldaten

/ ach mädchen / wie rot
sind barackenwand fetzen 
die beulen der leichen 
wie gellend der schrei

wo rosen jetzt blühen
wo die sonne verharmlost
ist der boden verrostet
ist die wand eine tafel

ist gedächtnis / mädchen /
stehen sprüche wie stelen 
fällt die sprache hinab
zu den toten in grodek

Publiziert in: Jahrbuch österreichischer Lyrik 2020/2021. Hg. von Alexandra Bernhardt. Edition Melos 2021, 50-51.


Kommentar von Erika Wimmer Mazohl:

Grodek – eine Kleinstadt in der Westukraine, nur etwa 25 km vom Zentrum Galiziens, der westlich orientierten Stadt Lemberg entfernt. Grodek ist heute ein freundliches (harmloses) Städtchen – bunt der Markt, gepflegt der Hauptplatz und schön die waldige Umgebung mit einem kleinen See.

Hier fand zu Beginn des Ersten Weltkrieges an der damaligen Ostfront in Galizien zwischen russischen und österreichisch-ungarischen Truppen eine äußerst blutige Schlacht statt, bei der der Dichter Georg Trakl als Soldat und Medikamentenakzessist in einen tödlichen Strudel geriet – aus Verzweiflung wollte er sich das Leben nehmen, wurde aber daran gehindert. Die Schlacht endete mit der Einnahme der Stadt Grodek (ukrainisch Городок; russisch Gorodok, polnisch Gródek) durch die Russen und wurde durch das Kriegsgedicht „Grodek“ von Trakl (gestorben an den Folgen des Krieges in der psychiatrischen Abteilung des Garnisonsspitals in Krakau) in die Literatur eingeschrieben:

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder. […]

Unwritten Future. Heute, 110 Jahre später, herrscht seit zwei Jahren und acht Monaten wieder Krieg in diesem Land. Russland hat das Völkerrecht gebrochen und die Ukraine angegriffen.

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Was geschieht, wenn die Ukraine sich nicht mehr gegen die russische Armee verteidigen kann? Große Ungewissheit lastet selbst auf jenen Menschen, die im Westen des Landes, in Galizien, etwa in Lemberg und Grodek, leben und bisher nicht ständig, nur punktuell von Tod und Zerstörung betroffen sind. Doch der Krieg ist auch hier jeden Tag präsent, unzählige Binnenflüchtlinge sind im Westen gelandet und müssen versorgt werden. Ganz zu schweigen von den östlichen ukrainischen Gebieten und den Menschen, deren Leben unentwegt durch Bomben bedroht ist, die Angehörige verloren haben oder auf der Flucht sind.

Meine Fotoserie UNWRITTEN FUTURE zeigt die Farben der ukrainischen Flagge, die den wolkenlosen Himmel und das reife Korn andeuten; sie verwandeln sich in ein kaltes, pfeilähnliches Gebilde, das sich nicht mehr kontrollieren lässt – Sinnbild für jeden Krieg. Russlands Angriff ist ein Zug, der über das Land fegt, um dessen nationale Integrität und Selbstbestimmung zu vernichten.

Die 6-teilige Serie wurde gemeinsam mit meinem Gedicht GRODEK im Jahre 2023 bei einer Fotoausstellung zum Thema „Futuro fragile. Was kommt“ in der Galerie Lanserhaus Eppan/Südtirol gezeigt. Anfang 2024 kommt die Ausstellung mit Fotos und Textplakat in die Galerie DIA : LOG nach Kufstein in Tirol.

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