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Ein Vater-Vermächtnis als Kronjuwel der Literatur

Ein Vater-Vermächtnis als Kronjuwel der Literatur

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Regina Hilber liest Ernestina Jelovšeks
Erinnerungen an France Prešeren


Im Rahmen der Reihe Die Slowenische Bibliothek, die von Lojze Wieser im gleichnamigen Wieser Verlag herausgegeben wird, erschien 2023 nach einem Originalmanuskript ein besonderes Erinnerungswerk einer Tochter an ihren Vater, den sie kaum gekannt hat:

Der Band ist dem größten slowenischen Dichter aus jener Zeit, France Prešeren (geb. 1800 in Verba, Herzogtum Krain, gest. 1849 in Kranj), gewidmet, dem die uneheliche, zweitgeborene Tochter Ernestina Jelovšek mit ihren Aufzeichnungen und Briefen ein Denkmal setzt.

Cover © Wieser|Drava|Založništvo tržaškega tiska

Als Ernestina Jelovšek 1842 in Ljubljana geboren wird und 1917 ebenda stirbt, ist das Herzogtum Krain (später Kronland Krain) immer noch Teil der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Im Kapitel „Bemerkungen“ bildet Ernestina Jelovšek einen Ausschnitt aus Prešerens Sonetten „,Sonetni venec‘ das Unglück der (slowenischen) Nation“ ab:

Dort, wo sie Felsenburgen schroff umrunden,
ein kalter Hort, den Stürme wild durchziehen.

Ließ diese heimatlichen Lieder blühen,
der Wunsch, mein Volk zu wecken und zu lehren.
Umsonst, ihr Wuchs bliebe kraftloses Bemühen.

Es handelt sich also nicht um einen Lyrikband, der hier besprochen wird, sondern um die Schablone hinter dem Dichter. Die Einordnung dieses Bandes fällt beim ersten Durchblättern nicht leicht, denn die „Aufzeichnungen“ um den (posthum) populär gewordenen slowenischen Nationaldichter Prešeren schieben sich bruchstückhaft und in unterschiedlichsten Formaten in dieses Buch. Wir stoßen als Leser:innen zunächst auf das von einer Tochter nachgezeichnete Erinnerungsbild, das wiederum wesentlich aus den Erzählungen ihrer Mutter gespeist ist, später auf Briefe und sogenannte „Bemerkungen“, werden aber auch auf Nachlasswidrigkeiten nach dem Tod des Dichters hingewiesen, die die Tochter Ernestina lange Zeit beschäftigen sollten.

Dennoch lohnt es sich, die anfängliche Hürde beim Einordnen des Bandes zu überwinden, denn das Büchlein ist neben dem intimen Erinnerungswert auch ein wahres Kleinod slowenischer Geschichte und eine wunderbare Möglichkeit, „Dichtung hinter der Dichtung“ während jener spannungsgeladenen Epoche zu erfassen. Der Klappentext gibt Hilfestellung aus der Sicht der Autorin:

„Darum, wer immer nachstehende ,Erinnerungen‘ die gerade vor zwanzig Jahren (1875) geschrieben und vor 10 Jahren (1885) wieder abgeschrieben wurden, in die Hände bekommt, dem mögen diese Zeilen als Einleitung, als der Schlüssel dienen. Manches hätte ich jetzt vielleicht anders aufgefaßt und geschrieben: Meine Ansichten hat die Erfahrung, der Einblick in unsere Verhältnisse teils gemildert, teils verbittert, manches mal dachte ich schon daran, das Buch zu vernichten (…).“

Wer war Sloweniens Nationaldichter France Prešeren?

France Prešeren studierte Rechtswissenschaften in Wien, wo er eine erste Affinität zur Poesie entwickelte. Danach war Prešeren dreizehn Jahre lang als Konzipient bei Dr. Chrobath in Laibach tätig, eine Arbeit, die ihn nicht erfüllen sollte. 1846 erhielt er in Krainburg (Kranj) eine Advokatur. Diese signifikanten Lebensstationen beschreibt Ernestina Jelovšek hier in ihren Aufzeichnungen. Dass seit 1989 Prešerens siebte Strophe seines berühmten Gedichtes „Zdravlijica“ (deutsch: Trinkspruch, Toast, Prosit) die slowenische Nationalhymne ziert, verdeutlicht die Gewichtigkeit des zu Lebzeiten verkannten Dichters.

In einem Sonett besingt der junge Prešeren 1833 seine erste (unerwiderte, platonische) Liebe zur Kaufmannstochter Juljana Primic, zu jener Zeit die reichste Kaufmannstochter in Laibach (Ljubljana). (Sein Akrostichon „PRIMICOVI JULJI“ aus seinem frühen Poesieband Poezije, könnte man hinzufügen, trägt ebenso ihren Namen.) Im anfänglichen Kapitel „Erinnerungen an Dr. France Prešeren“ vermerkt Ernestina Jelovšek, dass ihr Vater seine Muse „Julie“ und deren schöne blauen Augen auch so dargestellt hatte:

Zwei zornige Kerubine mit feurigem Schwert.

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Im selben Kapitel erfahren wir, wie Mädchen der Hof gemacht wird, so auch Ernestinas Mutter Ana Jelovšek, als diese 1837 als Gouvernante im Haushalt der Frau Chrobath in Laibach arbeitete:

Ein treues schaffensfrohes Herz zur Seite als Mitgift ließe meinen Mut erstarken, millionenfach, wenn ich mein Mädchen freite.

Die „Tochter“ Ernestina Jelovšek

Der Einblick, den uns Ernestina Jelovšek in die nachfolgenden Lebensstationen ihres Dichter-Vaters bis zu dessen Tod gewährt, sind wertvolle zeitgeschichtliche Sequenzen aus einem slowenischen Alltag:

„Prešerens Verhältnis zu meiner Mutter war aber nicht ohne Einfluß auf dessen literarische Tätigkeit, denn es lähmte dieselbe. Wenn es wieder einmal Jemandem einfallen sollte, eine Biographie meines Vaters zu schreiben – eine „nicht einseitige“, wozu ja auch Dr. Bleiweis einen ,Beitrag‘ geliefert – der mußte doch auch desssen Verhältnis in Betracht ziehen, denn sonst würde es nicht möglich sein, einige Dinge in dem Leben meines Vaters zu erklären.“

Sie selbst war stets „Tochter“ nicht nur des unerreichbaren Vaters, sondern auch der Mutter und starb, halb blind, im Armenhaus. So sehr Ernestina Jelovšek zu Lebzeiten unerbittlich um den Nachlass ihres Vaters kämpfte, so eindringlich hat sie uns ein literarisches Zeitfenster hinterlassen mit ihren „Aufzeichnungen“ und „Bemerkungen“. Dank Lojze Wiesers Herausgabe der Reihe Die slowenische Bibliothek wurde das Erinnerungsbild an ihren Vater für die „Autorin“ Ernestina Jelovšek selbst zu einem Debüt und einem literarischen Doppel-Vermächtnis.


Ernestina Jelovšek: Erinnerungen an France Prešeren. Wieser|Drava|Založništvo tržaškega tiska, Klagenfurt/Celovec, 2023. 162 Seiten, Euro 24,–

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