Andreas Pavlic liest Nika Pfeifers TIGER TOAST
Ein Buch wie ein Überfall, jedoch im umgekehrten Sinne. Hier wird nicht geraubt, sondern die Lesenden werden mit einer Fülle von Ideen, Verweisen, multilingualen Spielereien und poetischen Ein- und Ausdrücken überhäuft. Mit TIGER TOAST hat die Autorin und Sprachwissenschaftlerin Nika Pfeifer etwas geschaffen, das räumliche und sprachliche Grenzen überschreitet – und das womöglich jenseits der Erdatmosphäre.
Cover © Ritter Verlag
„Inspiriert von der Idee, mit allerlei nicht-humanen, auch außerirdischen Intelligenzen Kontakt aufzunehmen, begreift und gestaltet die Autorin Sprache als etwas Faszinierendes, genuin Entgrenztes.“ So auf dem Buchrücken des Gedichtbands. Ob eine Kontaktaufnahme mit Außerirdischen einmal gelingen wird, steht noch in den Sternen. Einen Versuch wert wäre es mit folgendem Gedicht (um gleich vorweg etwaige Sprachbarrieren zu durchbrechen).
Langue long lang long itude etude meh tude me tong me tongue’n’cheeck speak’n all-tongue s. „all-tongue/allspeak“, marvel multiversum
„eine languasch for all“
In einem anderen Gedicht berichtet Pfeifer davon, dass wir plötzlich „eine neue sprache“ hatten; eine für „wortspiele“, einen „planeten b“, den „frühling“ und eine „nachricht für neue sterne“. Wir hatten, so schließt die Vorstellung ab, eine Sprache, die für alle wäre. Wer kennt gegenwärtig diese Sehnsucht nicht? Doch wissen wir ebenfalls, dass heute eher mit Wahrheiten als mit Worten gespielt wird, es keinen Reserveplaneten gibt und sich der Frühling, der jährliche Neuanfang, nur allzu schnell in einen ausgedörrten Hitzesommer verwandelt. Und wir wissen auch, dass das gegenwärtige, fast schon verzweifelte Greifen nach den Sternen, das Abscannen des Universums nach Leben sowie der Versuch, die Dimensionen des überdimensionalen Alls zu erfassen, sich wie Nachrichten ausmachen, die wir an uns selbst schreiben. Womöglich hatte Nika Pfeifer bei diesem Gedicht Ähnliches in Gedanken. Das Gedankenspiel endet jedenfalls damit, dass es nicht nur eine neue Sprache, sondern „eine languasch for all“ war, die wir plötzlich hatten. Die Utopie von einer Sprache für alle reichert die Autorin mit einem assoziativen Gulasch für alle an. Zumindest löst das Wort languasch bei mir diese Assoziation aus. Manche mögen Gulasch für alle ebenfalls als einen utopischen Entwurf gelten lassen, andere wohl kaum. Näher am Alltäglichen, weniger phantastisch, sondern bodenständiger geht es in einem anderen Gedicht zu.
Workout Routine die mundwinkel herab- & wieder hochziehen (in zeitlupe) gut auf den flüssigkeitshaushalt achten sich unter den tisch trinken (fast forward) dort in shavasana liegen wie ein hypnotisiertes kaninchen ins nichts stieren an alles mögliche denken – grravity, grief, grace & what binds us den überblick verlieren – gratitude! sich zusammenreißen & aufraffen wieder hoch! (close up) inklusive mundwinkel! tanzen als müsste man sich erinnern dass es festen boden gibt
kiss the tiger
Kaum festen Boden bietet der Titel: TIGER TOAST. Es stellt sich die Frage, ob es neben der klanglichen Gestaltung des Titels, der mehrsprachlichen Verwendbarkeit der Wörter und der Mischung der sprachlichen Varianten noch eine weitere Bedeutungsebene gibt. Im Buch finden sich einige Texte, in denen „Tiger“ oder „tiger“ vorkommen, aber restlos klären lässt es sich nicht. Vielleicht sind dies „Luxusgedanken“, wie Pfeifer ein Gedicht betitelt, in dem sie schreibt: „wär ich mein eigenes tier, ließe ich mich springen, tänzeln, paradieren, herumtigern, wenden & alles zugleich (…)“ Doch diesen Luxus sollten sich alle Schreibenden und Lesenden gewähren. In diesem Sinne lässt sich das Buch auch als ein Hoch auf das Leben und die Liebe lesen, als ein Ausdruck von Lust am Spiel mit der Sprache oder den Sprachen sowie einer spitzen Freude an wohl platzierter Komik. Folgendes Gedicht gibt dazu wohl den stärksten Hinweis.
TOAST wir tranken wodka aufs leben auf die liebe dann küssten wir uns du wie ein tiger & ich fragte mich wie küssen denn die
B-side-Pop
Das Buch ist, wie bisher gezeigt wurde, bei Weitem nicht nur Zirkus oder Akrobatik, sondern es finden sich feine Beobachtungen, aus dem Alltag gegriffen und aus dem Leben gepellt. Es lädt zum Verweilen und Weiterspringen ein. Wären Texte Stiegen, wären Pfeifers Texte eine Wendeltreppe, aber eine von M.C. Escher entworfene. TIGER TOAST ist Pop oder popkulturell, es ist softer Punk – hier finden sich Remixes, comicartige Schriftzüge, Hinweise und Verweise auf Künstler von David Bowie bis Bodo Hell: So, wie sich eine Gegenwart uns zeigt, in ihren Fragmenten, Szenen und Codes. Dies spiegelt sich auch in der Vielfalt der Form wider. Es scheint, als hätte jeder poetische Impuls der Autorin sich jene Form genommen, derer er bedurfte, um Text zu werden.
wir waren auf b-sides & demos nach & nach kam der sturm & all die gefallenen entscheidungen & all die unerreichten ängste & all die beigelegten kränze was wenn das paradies offen stand ohne hinweis auf einen rand
Zum Tanz und der Tändelei gehört aber auch eine Prise Melancholie. Diese durchweht das Buch ebenfalls, wie bei diesem Gedicht in einigen Zeilen. Denn das Leben ist nicht nur schallender Moment und rot beschleifte Zukunft – sondern auch diese wachsende und unveränderbare Landschaft, die im Rückspiegel auftaucht und eine bzw. einen angrinst.
Nika Pfeifer: TIGER TOAST. Ritter, Klagenfurt, 2024. 104 Seiten. Euro 15,–