Gedichtlektüre einer Übertragung
Michael Hammerschmid zu Fabjan Hafners von Peter Handke ins Deutsche übertragene Gedicht „Du lebst besinnungslos“
Du lebst besinnungslos Besinnungslos lebst du stumpf im Alleinsein Zitternd in blindem Grausen sträubst du dich gegen jede Berührung Wirst nicht ertrinken im Regen Erstarrst Stumpfst ab Wirst ewig im Trockenen bleiben Nimmer wirst kosten gute Nässe Wirst sterben wenn’s regnet am unerschnupperten Wasser Nimmer wirst kosten die Linderung des Wassers in der Glut der Tage Wirst am Ende sterben vor Durst im Regen živiš nezavestno živiš nezavestno potopljen v samoto drhteč od slepega strahu se braniš vseh dotikov ne boš utonil v dežju otrpneš otopiš večno boš ostal na suhem nikoli ne boš okusil blage mokrote umrl boš ne da bi bil povohal vodo kadar dežuje nikoli ne boš okusil omilitve vode v žaru dni tako boš končno od žeje umrl v dežju
Schon die erste Zeile des Gedichts, das zu den frühesten seines Autors, Fabjan Hafner, zählt, wiederholt in seiner deutschen Übertragung von Peter Handke in umgedrehter Reihenfolge den Titel, wiederholt die Worte von der anderen Seite, so dass man in ihnen wie in einem Käfig von links nach rechts und von rechts nach links gehen kann, um in der nächsten Zeile nicht weniger bittere Bilder aufzurufen: „stumpf“, „im Alleinsein“, „Zitternd“, „in blindem Grausen“: Das Ich reiht Worte an Worte, die den Zustand besinnungslosen Lebens aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, aber die Dunkelheit verschwindet nicht, bis die letzte Zeile der ersten Strophe wie ein Halm Hoffnung aufleuchtet: „Wirst nicht ertrinken / im Regen“. Schnell fällt dieser Satz ohne Personalpronomen, atemlos in der Satzzeichenlosigkeit des Gedichts, die eine Art Verlorenheit ausstrahlt, und so wird etwas wie lindernde Gewissheit und Zukunft suggeriert.
Verwehrte Linderung
Doch die zweite Strophe widerspricht dieser Hoffnung nach einer Pause, die keinen Raum herstellt, und als hätte sich das Ich nun doch für einen Moment besonnen, jedoch auf seine Ausweglosigkeit, rattern die ausweglosen Feststellungen weiter: „Erstarrst / Stumpfst ab / Wirst ewig / im Trockenen bleiben“ – ewig, hier nimmt die Zukunft eine andere Färbung an, wischt die Hoffnung der Zukunft in der Vorstrophe („Wirst nicht ertrinken / im Regen“) weg, und „Nimmer wirst kosten / gute Nässe“ heißt es weiter. Das ist interessant, denn hier verschiebt sich der Ton, reichert sich mit der ehernen Tönung biblisch-religiöser, prophetischer Rede an, und die „Nässe“ des Regens reichert sich wiederum semantisch durch verschiedene Attribute an, sie ist „gut“, das Wasser „unerschnuppert“, das Kosten versagt, die Linderung verwehrt. Die Phantasie des Ich zeigt, dass es von den Freuden des Wassers durchaus weiß, sie nicht vergessen hat. Denn es kann sie nennen, auch wenn ein Wissen in ihm waltet, dass ihm der Zugang dazu verwehrt ist.
Wasser und Todesgewissheit
Das Gedicht zeigt dieses Ringen. In der Verneinung ist es jedoch auch ein Loblied auf das Wasser, das Nass, den Regen. Und angesicht der Todesgewissheit, die inmitten dieser zweiten Strophe ausgesprochen wird, und alles Vorangegangene annulliert „wirst sterben“, wird das Wasser zum Zeichen des vollen Lebens, das mit den Sinnen der Vergegenwärtigung im Wort noch einmal wahrgenommen wird. Die Worte selbst widersprechen also der Blindheit im „blindem Grausen“, dem Sich-Sträuben „gegen jede Berührung“, dem Nicht-Trinken „im Regen“, dem Erstarren und Abstumpfen, das Gedicht kostet gleichsam, was ihm, seinem Ich, verwehrt ist, während die letzte Strophe in vier Zeilen noch einmal Art und Gewissheit des Sterbens nennt: „Wirst am Ende / sterben / vor Durst / im Regen“. Und dennoch dürfen wir uns fragen, ob nicht gerade im Durst Sterben und Leben zueinanderkommen, sie also eine Art Hoffnungspunkt darstellen, wo Entsagung, Sehnsucht und Versagung, Befreiung im Ende erkennbar werden, zumal hier die Zukunft (das Sterben) – dem eschatologischen Grundton gemäß – in eine Ferne gerückt erscheint, während die zuvor genannten Qualen ja ganz Gegenwart waren. So als könnte die Zukunft die quälende Gegenwart befreien?
Im Regen sterben
Und doch sind diese letzten Worte im Gedicht auch schlicht Feststellung und bestätigen die Unnahbarkeit des Lebens im Bild des im Regen Sterbenden. Und doch (ja noch einmal) kann der, der Durst und Regen, Lebenssehnsucht und Todesgewissheit und Lebenswort wahrnehmen kann, am Ende (nur am Ende?) auch ihr Ineinanderwirken erfahren. Und ist in diesem Satz, dessen Rhythmus schon allein auf der Seite des Lebens zu stehen scheint, nicht der „Regen“ das letzte Wort und nicht „sterben“ (Der Satz hätte ja auch lauten können: Am Ende wirst (du) vor Durst im Regen sterben)? Fabjan Hafners Gedicht setzt im Existenziellen an, weitet sich ins Grundsätzliche, und lässt den Widerstreit von Lebenssehnsucht und Besinnungslosigkeit, aneinander Gestalt gewinnen.
In memoriam Fabjan Hafner, Dichter, Übersetzer, Slawist, Herausgeber und Literaturvermittler, der am 10. Mai 2016 in seinem 50. Lebensjahr verstorben ist.
Fabjan Hafner: „Du lebst besinnungslos“ in: derselbe: Erste und letzte Gedichte. 1982-2016. Slowenisch und deutsch. Herausgegeben, übertragen und mit einem Vorwort versehen von Peter Handke. Mit einem Nachwort von Dominik Srienc und einem Gedicht von Gustav Januš. Berlin: Suhrkamp-Verlag 2020, S. 19.