Katrin Bernhardt
Ich soll über Flucht schreiben über das Grauen über … Könnte das Safura das kleine große Mädchen mit der schlimmen Geschichte und den lachenden Augen nicht besser als ich? Oder die Klasse an Halbwüchsigen an Halberwachsenen die zu schnell ihrer Kindheit beraubt wurden? Gestrandet Mit nur wenigen Monaten Zeit um eine fremde Sprache zu erlernen bevor man sie auf die Straße schickt Ohne Ausbildung Ohne Perspektive Heimatlosigkeit kenne ich dachte ich Aber es ist eine selbstgewählte keine erzwungene Und wie gerne kehre ich nach Hause zurück Schon nach ein paar Monaten Dann, wann ich will Nie bin ich um mein Leben gerannt Nie hat jemand gegen mich eine Waffe gerichtet Nie hat mir ein Stacheldrahtzaun den Einlass verwehrt Nie habe ich all das verloren, was mir am liebsten ist Nie hat mir jemand gesagt: Ich kenne dich nicht, aber ich will dich hier nicht! Safura aber lächelt Jeden Tag, wenn ich sie treffe Ein Strahlen in ihr So als sehe sie etwas vor sich das ich nicht erblicken kann Die Buchstaben dieses neuen Alphabets gehorchen ihr noch nicht aber sie malt sie unaufhörlich Wie schwere Klötze liegen sie da Verbogen Verzerrt Zerquetscht Ihre arabischen Zeichen schweben wie zierliche Vögel auf weiten Schwingen durch ihr Bildwörterbuch Als wollten sie sich davonmachen Aufmachen Zurück in ihre Heimat So als wären sie frei
Aus: Katrin Bernhardt: Aufbrechen, edition lex liszt 12, 2020. 98 Seiten. Euro 18.-
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