Jelena Dabic liest den Gedichtband teilchenland von Caca Savic
Der erste Gedichtband von Caca Savic, deren Texte bereits in mehreren Literaturzeitschriften und Anthologien erschienen sind, wurde in der Lyrikreihe des Verlagshauses Berlin publiziert, das sich ausdrücklich auch als Verlag für Grafik versteht. Die Illustrationen von Nina Kaun nehmen hier also breiten Raum ein und verlangen – nicht weniger als die Texte – nach einer äußerst genauen und mehrfachen Rezeption. In den Zeichnungen finden sich Motive und Bilder der Gedichte wieder: der Wald samt wilden Tieren, insbesondere Hirsche, Tannenbäume, immer wieder Baumstümpfe, märchenhafte Szenen und Motive, Tänze, ein Schiff, eine Frucht (etwa ein halbierter Apfel), ein angedeutetes Geschlechtsteil, botanische Zeichnungen, ein Jäger mit Gewehr, symbolträchtige Tiere wie Spinnen, Katzen, immer wieder Hände, ein paar Gesichter. Zudem finden sich hier wiederholt Motive, die allein der freien Assoziation der Illustratorin geschuldet sind: eine Frau, die ihre Haare in einem Holzbottich wäscht, männliche und weibliche Pegasusabbildungen, Knöpfe, ein folkloristisch anmutender Akkordeonspieler … und nicht zuletzt eine Ansammlung von Kästchen oder Kommoden. Nicht nur in dieser Hinsicht entsprechen die Illustrationen den rätselhaften Gedichten der Autorin: freie Assoziation ist der einzige Weg zum richtigen Umgang mit diesen Texten, wohl auch eines der Grundprinzipien ihrer Entstehung.
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Spuren der Mehrsprachigkeit
Nach der Lektüre des Bandes lässt sich feststellen, dass die Texte, die im Übrigen in einer besonderen Schriftart gedruckt und am Anfang und Ende jedes Textblocks mit Pfeilen versehen sind, sich sowohl als ein einziger, langer Text lesen lassen als auch als einzelne lyrische Texte. Eine Besonderheit, die sich erst während der Lektüre bemerkbar macht, sind die nicht weniger als vierzig Wörter aus dem Bosnischen/ Kroatischen/ Serbischen, die Savic in die Texte eingebaut hat. Es ist eine originelle Idee, derart souverän die eigene Mehrsprachigkeit zu unterstreichen und als genuinen Bestandteil des eigenen literarischen Schaffens zu demonstrieren. Dennoch hätte ein kleines Register, diskret hinten im Band versteckt, dem Buch nicht geschadet – denn der Genussleser, die Genussleserin will jedes Wort verstehen und keine Abstriche machen. Die Textsammlung bietet eine Gliederung an, wobei von den vier Untertiteln wieder zwei nicht zu verstehen sind – es sei denn, man teilt die Herkunft der Autorin. („Iluzija“ und „utopija“ hingegen brauchen keine weitere Erklärung.) Oder sind die bewusst „unübersetzten“ Begriffe ein Wink an den Leser, blitzschnell im Internet zu recherchieren?
Hochkomplexe Sprachgebilde
Caca Savic Gedichte fangen gewissermaßen irgendwo an und enden irgendwo, dabei ist weder ihre Anordnung im Buch noch sonst etwas an diesen hochkomplexen Sprach- und Begriffsgebilden beliebig. Dennoch kann man sie in beliebiger Reihenfolge lesen, später irgendwo einsteigen und es bei wenigen Texten belassen, wobei mehrfache Lektüre ihre ästhetische Wirkung nur steigert. Andererseits zieht die Melodie dieser Art von Texten einen ganz unmittelbar mit und verleitet zum Weiterlesen, ob man nun jedem Gedanken des Gesagten folgen kann oder nicht. Allerdings ist es sehr schwierig, die thematische Ausrichtung der Gedichte festzulegen. Etliche Themen, Motive oder auch Schauplätze werden angerissen: politische Ereignisse (Krieg, militärische Aktionen), Macht, Gewalt, Liebe und Sexualität, Kampf, Destruktion (aber auch Harmonie), etliche naturwissenschaftliche und technische Begriffe, v.a. aus dem Bereich der Biologie und Mikrobiologie, architektonische Elemente, Jagdsymbole (Trophäen), Familie (Herkunftsfamilie, ihre Legenden und ihre Auflösung), Flucht (Flüchtlingslager), politische und sprachliche Grenzen, das Geheimnis der Natur, eigene ethnische Herkunft und der Ausstieg daraus, Dystopie, Sprache und Sprechen, Tanz, Märchen, Rittersymbolik, Archäologie, Gulag, Schifffahrt und Meer, Weiblichkeit, Western …. Die Liste wird zu lang und ist auch eindeutig zu lang für einen Gedichtband von überdurchschnittlicher Länge.
Der Sog der Musikalität
Formal fallen zwar immer wieder einige Alliterationen („hinter roher Aussicht ist die Ahnung auf Gangbares, aus Gleichgewicht wird Absturz“, „) und seltener Assonanzen auf, außerdem auch einige bewusste Neubildungen („Überkopfbilder“, „Beispielkoffer“, „Nichtnebel“), dennoch scheint die durchgehende unvollständige Syntax das Grundprinzip der Texte zu sein, die sich am ehesten als hochabstrakte lyrische Prosa lesen lassen. Diese Satzteile und die geschickt miteinander verknüpften und aneinandergereihten Wortgruppen verleihen dem Text als Ganzem und den Textblöcken im Einzelnen eine Musikalität, die ständig zum Weiterlesen antreibt und – neben ihrer begrifflichen Vielschichtigkeit – zweifellos die Ästhetik dieser Lyrik ausmacht. Konsequent wird alles verschlüsselt, alles bleibt stets nur angedeutet, nichts wird ausgeführt.
Die formale und inhaltliche Besonderheit dieser Art von Gedichten wird aber auch zu ihrem größten Problem: bei all den ansprechenden oder auch verstörenden Metaphern und Bildern, bei all den relevanten Anspielungen und (nur angedeuteten) Aussagen, entsteht beim Lesen immer mehr der Eindruck, dass hier einfach zu viel hineingepackt wurde: zu viele Themen und Themenbereiche, zu viele Begriffe, Motive, Bilder, Ebenen und Sphären. Die ununterbrochene willkürliche Vermengung all dieser Motive und Bilder wirkt auf den Leser, die Leserin ästhetisch ansprechend und intellektuell fordernd, lässt ihn oder sie aber genauso ratlos zurück, da hier jegliche Festlegung auf einen Gedanken, eine Szene, ein Thema, eine Problematik fehlt. Anders gesagt, lassen die Gedichte zu viel Raum für eigene Ergänzungen und Interpretationen. So bleibt etwa meistens unklar, woran und an wem Kritik geübt wird. Einerseits erscheinen dadurch ausnahmslos alle Texte rätselhaft und die Lektüre bleibt interessant, andererseits wirkt das konsequente Verweigern jeglicher Gliederung, Abgrenzung und Festlegung irritierend. Dennoch ein exzellentes Beispiel hochartifizieller Lyrik der aktuellen Gegenwart.