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du bist dein Verhältnis zum Schmerz

du bist dein Verhältnis zum Schmerz

Sophie Reyer

:
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
 
Ausbluten Dauer und Mut 
bist das Zeichen der Schwäche 
gegen alle Likes alle Sinnhaftigkeiten 
 
kein Selfie kriegt dich 
keine Kunst kein Kommerz 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
Gänsehaut so 
weil alles anders ist während 
die andern 
in der Hölle des Gleichen gefangen 
 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
 
Fülle aus Lachen 
Leib nie mit seinem Wert ident 
immer woanders schon bist du 
schonungslos 
 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
hast keine Wünsche und Vorlieben 
abgekoppelt Hand Arm Fuß und Wort 
gegen alle Analgetiak alle Motivationstrainer 
homeless 
und ausgerichtet auf ein Du 
das den Riss beibringt 
immer wieder 
an den Rändern 
 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
Ferment der Revolution 
unterdrückt 
gewürgt 
verdrängt 
 
bist die für die das Rauchverbot gilt 
Virusträger und Wunde 
Falte im Gesicht 
nicht messbar nicht zählbar 
kannst bloss erzählen 
von einem Geheimnis das du nicht kennst 
aber das ohne Worte 
die anderen kriegen alle ein Stück 
von der Torte du isst nicht 
bist nicht 
nicht optimiert 
nicht von Bildern verführt 
Kälte des Weltalls 
auf deinen Knochen 
 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
Pfeile einigemale 
das Herz durchbohrt da 
wo keiner deine Hand hält 
in einer viel zu schönen Welt 
in der Sonnen mit Leucht
Reklameschildern aufgehn 
so schön 
und das jeden Tag! 
nimmst du die Sprache ab 
und zerstörst sie 
du bist dein Verhältnis zum Schmerz 
 
ein Scherz bist du 
eine Zärtlichkeit 
ein sinnentleertes Symptom 
das die Grenze beschreibt 
 
du bist die Prinzessin auf der Erbse 
die unter der Matratze leidet 
weil die Erbse verschwunden ist 
und Eduard mit den Scherenhänden 
der sich nicht traut irgendwen 
nochmal in die Arme zu nehmen 
aus Angst 
vor sich selbst 
 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
du weißt die Insel 
auf der du ruhst 
ist ein hungriger Fisch 
aber manchmal 
schläfst du noch auf ihr 
allem zum Trotz 
 
der Tod war gestern 
und wird morgen wieder sein 
er macht dir keine Angst mehr 
tropfenförmig sickert 
dein Abstand ins Leben ein 
du bist die die Widerstand leistet 
 
Selten 
finden heute noch Berührungen statt
während die andern sich Make-up auf die Haut schmieren 
willst du Haut eher loswerden 
also ritzen schaben schneiden 
um zu sehen 
was Grenze meint 
welche Bindungen heute 
noch echt sind 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
 
Unterschied bist 
Verhältnis 
Beziehung und Wirklichkeit 
hängst in der Luft 
dehydrierst nicht am Digitalen 
bist ohne Preis ohne Wert 
ein Begreifen 
eine Erde die in die Sonne stürzen wird 
irgendwann 
bist der Abstand der sich nicht 
überbrücken lässt
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
 
im Sonnenlicht bist 
schlägst dem Tod ins Gesicht 
und dem Ich 
du lässt dich nicht googeln 
du bist die Krise der Kommunikation 
die Neigung zum Verstummen
und die zärtliche Wunde 
offen wie wortlos 
ein ewiger Bund 
 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
die Bildung des Geistes bist 
die radikal mit dem Gewesenen bricht 
bei jeder Blume zu verweilen 
das Andere an ihr als Abgrund zu begreifen 
als Schönheit und Trennung 
Trennung und Schönheit 
 
du bist 
der nur singbare Rest 
für den keine Syntax erfunden wurde 
keine Metapher gebaut 
Haut durch die 
etwas hindurchbrach 
einfach
wahr und ohne Pracht 
 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
du bist 
 
Herz 
 
Herz bist du
weil Sein Schmerz ist 
Schattenkind 
ergibst dich wo das Wort zerbricht 
und dringst in die Rillen vor 
Näherin die das Weben nie vollendet 
trägst das Dasein 
unverfügbar 
haltloser halt im kurzen Aufenthalt Atmen 
Schwermut und Mut 
 
du bist Herz 
die Nähe der Ferne 
wieder und wieder: Näherin Weberin inneres Kind 
bist die Rettung der Erde sie zu schonen 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
 
du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
gebietest Distanz 
und gibst Würde 
wo alles Kapital werden muss 
bleibst in der Urferne 
duftest fremd 
das Späte ist deine Gangart 
ungesehen verschleift es sich 
vollzieht den Riss 
gegen den nichts hilft 
außer Geduld und Warten 
das Ertragen bist 
und das Dahingeben 
in einem Zuviel an Welt 
zwischen youtube und self-tracking 
bist Schnecke zwischen den Schnelligkeiten 
willst nichts und kannst nichts 
und hast alles längst wieder verlernt du 
bist 
 
Epilog noch: in die Freiheit fallen 
wieder du bist 
dein Verhältnis zum Schmerz 
Herz und Öffnung für andere 
auch wenn sie sich abschaffen 
um als Spezies zu 
 
überleben bleibst du 
dein Verhältnis zum 
 
Schmerz 

(unveröffentlicht)

Zuletzt erschien von Sophie Reyer der Gedichtband: Silberstrom bin ich. danube books Verlag, Ulm, 2021. (= edition textfluss 6) 140 Seiten. Euro 20,60

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