Monika Vasik über den posthumen Gedichtband des zu früh verstorbenen Kärntner Slowenen Fabjan Hafner
Und was hab’ ich dazugewonnen? Und was ist mir geblieben?
Schlicht ist der Titel des neuen und letzten Lyrikbands von Fabjan Hafners, der vier Jahre nach seinem Tod erschienen ist. „Erste und letzte Gedichte“ wurde nicht mehr von ihm selbst, sondern von Peter Handke zusammengestellt und gleich nach Erscheinen von einer Jury der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in die Liste der Lyrik-Empfehlungen des Jahres 2020 aufgenommen. Die ersten, bislang noch unübersetzt gewesenen Gedichte Hafners stammen ungefähr aus den Jahren 1982-1987 und nehmen etwa Dreiviertel des Bands ein, die letzten aus den Jahren 2008-2016. Es ist eine zweisprachige Ausgabe, links die slowenischen Originale, rechts die Übertragungen von Peter Handke, der auch das Vorwort verfasst hat. Ergänzt wird das Buch durch ein mit „2019“ datiertes Gedicht, das der Lyriker Gustav Januš – Hafner befasste sich einst in seiner Diplomarbeit mit Januš’ Dichtung – dem früh Verstorbenen widmete, und ein informatives Nachwort des Literaturwissenschaftlers Dominik Srienc.
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Manchmal im Lesen, Schlafen oder sonst wo leuchtet Erkenntnis – aber ich kann dann das Gedankengeklapper nicht stoppen. Bei solchen Gelegenheiten beiße ich mir in die Lippe, und es fließt Blut, denn ich habe einen Schrei unterdrückt
Gut nachvollziehbar ist bei der Lektüre Hafners Abwägen jedes einzelnen Worts vor dessen Festschreibung im Gedicht, auch sein Ringen um die richtige Entscheidung zwischen sparsamem Sprechen oder Schweigen, denn Hafner weiß um den Schatz des Schweigens. Was auffällt, ist die motivische Kontinuität, seine Auseinandersetzung mit dem Alleinsein, mit Einsamkeit und einer tief innewohnenden Angst, seinem Verlorensein in der Welt.
und plötzlich empfinde ich mich so nichtig daß ein unvorsichtiges Seufzen mich davontragen könnte
Selten gibt es Augenblicke der Leichtigkeit und des versöhnenden Lichts:
Die Seele offen in der Natur wie neugeboren
So wie Hafner als Übersetzer ein uneitel Dienender war, der für jede(n) einzelne(n) von ihm übersetzte(n) Autor*in den passenden Ton erfunden hat, klingt in diesen Gedichten ein von ihm schon in den frühen Texten gestimmter Ton an, der von tiefer, abgründiger Melancholie grundiert ist und von Peter Handke behutsam übersetzt wurde. Er bezeichnet den Vorgang seiner Annäherung an Hafners Texte als „Nachbuchstabieren“, an anderer Stelle als ein „Entziffern“, das dem „Rhythmus des Hafnerschen Stockens“ entspricht, dessen Stocken „durch ein Nicht-mehr-Weiterwissen, wenn nicht gar plötzliches Weder-ein-noch-aus-Wissen“ entstand. Und er benennt die zentralen Motive in Hafners Texten, seine „litaneiförmig wiederkehrenden Anrufungen des Dunkels, der Stummheit, der Sprachlosigkeit, der Verlassenheit, des Ekels, der Angst, ja des Grauens …“
Fabjan Hafner wurde 1966 in Klagenfurt geboren und schied 2016 noch nicht 50-jährig aus der Welt. Der Kärntner Slowene wuchs zweisprachig auf und hatte zu seiner eigenen „doppelten Halbsprachigkeit“ ein ambivalentes Verhältnis, wie Srienc im Nachwort schreibt. Er studierte Slawistik und Deutsche Philologie in Graz, war früh mit dem Werk Peter Handkes vertraut und verfasste seine Dissertation zum Thema „Die Abwesenheit des Anderen. Slowenien, die Slowenen und das Slowenische im Werk Peter Handkes“. Hafner arbeitete als Übersetzer, Schriftsteller und Herausgeber. Als Literaturwissenschaftler setzte er sich u.a. mit Sprache als Kunstform und mit der Kunst des Übersetzens auseinander. Er war ein umtriebiger Vermittler, verantwortete rund 30 Übersetzungen in Buchform und mehr als 130 in Literaturzeitschriften. Er übertrug Werke von Florjan Lipuš, Tomaž Šalamun und Dane Zaic, machte auch zahlreiche andere slowenische Autor*innen wie Maruša Krese, Maja Vidmar oder Aleš Debeljak im deutschen Sprachraum zugänglich und übertrug zudem kroatische und serbische Literatur, etwa Gedichte von Ana Ristović, ins Deutsche. Er erhielt einige Preise, etwa 2006 den Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzung und den Wissenschaftspreis der Österreichischen Gesellschaft für Germanistik. 2014 wurde er vom slowenischen Übersetzerverband mit dem Lavrin-Preis ausgezeichnet. Ihm zu Ehren wird seit 2017 zudem der Fabjan-Hafner-Preis vergeben, mit dem Übersetzer*innen aus dem Slowenischen ins Deutsche und umgekehrt gewürdigt werden.
Neben all diesen Verdiensten um die Literatur von Kolleg*innen kam das eigene Schreiben wohl ein wenig zu kurz. Hafner begann früh zu dichten, erste Texte wurden 1983 in der slowenischen Literaturzeitschrift „mladje“ veröffentlicht. Anders als viele zweisprachige Autor*innen schrieb Hafner seine Poesie in beiden Kärntner Landessprachen und übersetzte diese selbst in die jeweils andere. 1988 veröffentlichte er seinen ersten Lyrikband „Indigo“ auf Slowenisch, drei Jahre später folgte mit „Gelichter und Lichtes“ der erste Gedichtband in deutscher Sprache. 2001 erschien unter dem Titel „Freisprechanlage – Brezrocno gavorjenje – Vivavoce“ eine dreisprachige lyrische Auswahl im Drava Verlag, zu der der österreichische Schriftsteller Alois Brandstetter anmerkte, dass es sich „um epigrammatisch verdichtete, am Sprachleib laborierende Gedichte“ handelt, in denen „das Festlegende der Sprache, das Festschreibende der Dichtung bewusst gemacht wird“. Dies gilt auch für die Texte des aktuellen Gedichtbands.
Hafner präsentiert sich zudem als politischer Autor, etwa im Gedicht „Viertes Gebot“, in dem er sich mit seinem Mutter- und seinem Vaterland auseinandersetzt:
... Die Eltern sind kommunizierende Gefäße, untrennbare und unermüdliche, nebeneinander im verengten Adernetz, im Blutkreis, der zuweilen eine feine Spur läßt, ähnlich schmalen Schriftzeichen.
Zu den berührendsten Gedichten gehört jenes über seinen Vater. Es erzählt von der „im Meer der Unmöglichkeit“ nur mehr leise glimmenden Hoffnung des erwachsenen Kindes und trägt die Anrufung schon im Titel: „Ati, sag endlich, ob du mich überhaupt hörst“:
... Nie haben wir zwei uns viel ausgesprochen, aber auch nicht aneinander vorbeigeredet. Zwar habe ich nie mit ihm gesungen, aber immer gesungen hab ich hin zu ihm. Wahrscheinlich hat er mich gehört. Immer noch warte ich, daß er sagt, ob ja. Daß ja.
Und so bietet der Lyrikband einen guten Einblick in das lyrische Schaffen von Fabjan Hafner. Was man sich aber bald über die vorliegenden Gedichte hinaus zu wünschen beginnt, ist ein Sammelband seiner Dichtungen, der es erlauben würde, sich umfassender mit seinen poetischen Texten auseinanderzusetzen.
Fabjan Hafner: Erste und letzte Gedichte. Herausgegeben und übertragen von Peter Handke. Suhrkamp Verlag, Berlin, 2020. 119 Seiten. Euro 20,60