Alexander Peer liest frühe feuer von Peter Enzinger mit Zeichnungen von Georg Bernsteiner
Es sind Bilder der Dämmerung, die Peter Enzinger in seinem Band frühe feuer beschwört. Sie führen zur Wahrnehmung flüchtiger Details, die sich neu zusammensetzen. Wenn es heißt
noch trinkt der morgen von der nacht und weiß nichts vom tanz um das feuer
dann werden in diesen Zeilen die prägenden Motive des Bandes deutlich. Die Übergänge der Zeit von Dunkel wie Hell oder des Bewusstseins vom Nichtwissen über das Ahnen zum Erkennen, erfahren hier eine konzentrierte Benennung, oft durch das Personalisieren des Abstrakten.
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Diese Subjektivierung der Dinge lässt die menschliche Erfahrung mit der Wirklichkeit verschmelzen.
in der asche verschwand ihre schande lautlos
Das Feuer zieht seine metaphorische Spur durch den Band und verstärkt die archaische Dimension dieser Orts- und Jahreszeiten-Erkundungen. Die Monate werden befragt und mit ihnen das unfassbare Du, an das sich manche Rede richtet.
deine augen zwei brunnen im winter schlagen ins eis kein loch
– Unnahbarkeit durch die Nähe der Beschreibung, so ließe sich das Verfahren skizzieren, das diesen Texten innewohnt. Es ist immer eine Gewissheit einer zu losen Verbindung des einen mit dem allen.
Wenn die Aufforderung erfolgt,
leih mir keine träne nur deinen traum
wird sich der Aufwachende bewusst, dass die eigentliche Nähe bereits verpasst ist und jetzt umso deutlicher ersehnt wird. Auch darin findet sich das motivische Spiel mit Phänomenen des Zwielichts. Es sind die Lücken der Wahrnehmung, die hier mit großer Sorgfalt signiert werden. Gerade darin steigert sich der Ton und wird zudringlicher, angriffiger. Als würde das Feuer lodern und sich nicht zurücknehmen, wie es ja gar nicht anders kann, als zu versengen und zu verbrennen.
leg nach feuer verbrenn den ketzer die fratze aus rotz aus zorn flamme kratz ihm die augen aus
Die körperliche Versehrtheit findet zu ihrer Form glühend.
Korrespondierend mit diesen Miniaturen beinhaltet frühe feuer Zeichnungen von Georg Bernsteiner. Die Begegnung der beiden Künstler verdient eine Erwähnung. Beide stammen aus dem Pinzgau, Peter Enzinger wurde 1968 in Zell am See geboren, Georg Bernsteiner 1969 in Piesendorf/Walchen. Obwohl sie dieselbe Schule besuchten, lernten sie einander erst Jahre danach in Wien kennen. Die Zusammenarbeit hat schon mehrere Publikationen hervorgebracht, etwa “ahabs blau”, das 25 Gedichte und 25 Buntstiftzeichnungen aufwies. Jetzt sind es 33 Gedichte und ebenso viele Zeichnungen. Man würde sich in der Zahlenmystik versteigen, wenn man dies als Zahl der Vollendung (in Anlehnung an die Lebensjahre Christi bis zu seiner Kreuzigung) interpretiert. Dennoch wohnt diesen puren Zahlen eine Anziehungskraft inne. Doch haben die Arbeiten eine Gemeinsamkeit, etwa in dem die Zeichnungen einen Anschauungsunterricht für die Texte liefern oder umgekehrt, die Texte Schlüssel darstellen, durch welche die Bilder zugänglich werden?
Beide Kunstformen haben ihre eigene Formalität, sie ergänzen einander auf einer intuitiven, nicht auf einer intellektuellen Ebene. Die flüchtige Wahrnehmung präzise festzuhalten, diesen Widerspruch künstlerisch zu bestehen, könnte man beiden attestieren. Die Zeichnungen von Bernsteiner weisen geometrische Formen auf und lassen Topologien erkennen. Es flirren die Gegenstände, die mal in sattem Schwarz, dann in fast fragiler Zittrigkeit ihren Platz einnehmen. Zwischen einem flächigen Grau und mitunter aggressiven schwarzen Gebilden animieren die Arrangements zu Spekulationen über Träume … oder eben über Zustände des Dämmerns.
Es ist bei weitem nicht die äußere Dämmerung allein, die in den Gedichten und Zeichnungen anklingt, vielmehr löst sich die Aufmerksamkeit von der Umgebung und dringt tief in den Betrachter ein, wenn es etwa heißt
aus den ruinen wächst keine blume mehr mein herz ist deine urne geworden
dann ist der Blick so weit nach innen gerichtet, dass das Äußere verschwindet und klar auf Phänomene des Seienden selbst gerichtet:
in der nacht trage ich lumpen aus licht die leuchten mir den weg zu dem garten in dem du wohnst
Wo gehn wir denn hin, fragte einst Novalis. Und er gab die Antwort, die auch in diesen Gedichten schlummert: Immer nach Hause.
Georg Bernsteiner / Peter Enzinger: frühe feuer. Gedichte. Klever, Wien 2020. 72 Seiten. Euro 36,-