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Freigang am Enkogawa

Freigang am Enkogawa

Leopold Federmair

Freigang am Enkogawa

Vom Limbus kurzzeitig beurlaubt 
wie ein Gefängnisinsasse, der zusehen muß, 
was er mit den paar Stunden, Jahren oder Jahrzehnten noch anfängt. 
Mehr als ein kurzer Spaziergang am Fluß nicht erlaubt.
 
Ebbe, dunkel glänzender Schlamm, 
darauf die ersten gefallenen Blütenblätter 
als Vorhut der Vergänglichkeit. 
Mankai, Vollpracht, auf der Schneide des Messers, 
das unsichtbar durch die Gezeiten zieht. 
Transversales Krebsvolk, mit Fliehen beschäftigt, während 
ein schwarzer Kormoran so tut, als ginge ihn das alles nichts an. 
Zeigt statt dessen die Zeichnung seiner Flügel, 
stellt das Schauen zur Schau. 
 
Ob er noch einmal auffliegt? Oder als Monument 
vor der Blütenkulisse verharrt, 
bis ihn Salzduft umfängt und er endlich 
begreift – aber was denn, was? 
Sein Blick jetzt gewendet, flußaufwärts, 
und meiner auch. Hinauf zu den drei Wasserfällen, 
die ich im Limbus vermisse.

Das Gedicht „Freigang am Enkogawa“ stammt aus dem geplanten Gedichtband Hiroshima Capriccios, der 2022 im Verlag Otto Müller in Salzburg erscheint.

Zuletzt erschien von Leopold Federmair: Parasiten des 21. Jahrhunderts. Essais aus beiden Welten I. Otto Müller, Salzburg 2021. 364 Seiten. Euro 26,-

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