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meine gedichte sind sperrgebiet

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Logo Besprechung I

Monika Vasik liest Mit der Axt in der Hand von Waltraud Haas


bertolt brecht: ich bin stückemacher!
wolf biermann: ich bin liedermacher!
waltraud haas: ich bin keine köchin.

Köchin, sagt Waltraud Haas, sei sie nicht. Und anders als Brecht, Biermann und Konsorten ist sie kein Hansdampf in vielen Gassen, wirft nicht lautstark mit Rufzeichen um sich, sondern beharrt schlicht und leise „ich bin keine köchin“. Jene, die sie und ihre Texte kennen, wissen, dass sie Dichterin ist und mit obiger Negation genau das meint, und jene anderen, die sie noch immer nicht kennen, können die Poetin nun kennenlernen.

1991 hat Waltraud Haas im Alter von 40 Jahren ihren ersten Gedichtband „LOTs tochter“ veröffentlicht. Nach drei weiteren Lyrikbänden folgte 2011 als Würdigung zu ihrem 60. Geburtstag ein Portraitband des Literaturkreises Podium. Zu ihrem 70er erschien nun, 30 Jahre nach dem Erstling und zwei Jahre nach ihrem letzten Buch „Schlaglichter. Lyrik und Prosa“ (2019), ihr bisher umfangreichster Band im Klever Verlag, bei dem Haas ab 2009 ihre Verlagsheimat gefunden hat. Auf blutrot grundiertem Einband springt einer der martialische Titel „Mit der Axt in der Hand“ ins Auge. Der Band enthält neue Gedichte und Prosa, deren chronologische Entstehung zwischen November 2018 und April 2021 im Anhang aufgelistet ist, ergänzt durch vier Prosatexte aus den 1980er Jahren.

© Copyright Klever

Zwei Grundkonstanten kennzeichnen das Haas’sche Schreiben. In ihrem Buch „Weiße Wut“, ebenfalls eine Sammlung von „Lyrik und Prosa“ (Edition Wespennest 1995), findet man die Verse

mein tagebuch ist

überlebenskampfstätte
traumrätselspielplatz

Statt eines Tagebuchs, vielleicht auch zusätzlich zu einem Tagebuch, schreibt sie ihre Gedichte und poetischen Notate, die in eher rascher Folge entstehen, nicht täglich, aber zumeist mehrere in jeder Woche, und die Klartext sprechen. Sie bezeugen das Überleben, kreisen thematisch um Kindheit, Gewalt, eine problematische Mutter-Tochter-Beziehung bzw. eine misslungene Eltern-Kind-Beziehung, wobei der Mutter, auch in deren Unvermögen und quälendem Versagen, bis heute eine gewichtigere Rolle als dem ebenfalls unverlässlichen Vater zukommt, kreisen um Wunden, die das Leben schlug und schlägt, Krankheit, Versehrungen und Narben.

die blauen flecken
auf der seele
lassen sich nicht
überschminken

In „Weiße Wut“ heißt es: „zwei punkte / verbindet nicht / eine gerade /sondern dein traum“. Solch ein Traum wird zuweilen zur rettenden Fluchtinsel. Auch im aktuellen Buch gibt es Träume mit gelegentlich surrealen Anklängen, die das Ich entrücken, Träume, die manchmal zerbrechen, selten wirklich werden und dann einen Anflug von Glück bereithalten:

dieser tag ist
so verlaufen
als hätte ich
regie geführt

Die zweite Grundkonstante des Haas’schen Schreibens klingt im Titel dieses Bands bereits an: „Mit der Axt in der Hand“. Es ist die Radikalität einer Dichterin der knappen Form, die ihren konsequent kleingeschriebenen Texten alles Überflüssige abhackt. Hier bleibt kein Wort zu viel, wenige Verse genügen. Oft tragen die Gedichte keinen Titel und haben sie doch einen, ist er meist bereits Teil des Gedichts, als erster Vers abgesetzt vom Rest, was Raum fürs Innehalten gleich zu Beginn gibt.

See Also

oh mama

blut ist dicker als wein
um dich zu vergessen
wäre selbst komasaufen
zwecklos

Gelegentlich wird das Wort der Poetin zur Axt, die Momenten der Utopie einer Befreiung den Weg ebnet. Das gilt in gleicher Weise für die Prosatexte, die wenige Zeilen bis knapp eine Seite lang sind. Es sind Momentaufnahmen, traumartige Sequenzen und Alltagsszenen, die Auseinandersetzung mit dem Dichten, ihrem Beruf als schreibende Frau und einmal mehr der Versuch der Abgrenzung zu den Eltern:

„du zückst keine feder“, sagt sie, „sondern schwingst eine axt in der hand, mit wuchtigen
schlägen markierst du dein revier.“ da weiß ich: es bedarf einer kettensäge, um vater 
und mutter endgültig mundtot zu machen und aus dem kinderwald zu vertreiben.

In vielen Texten dieses Bands spricht ein lyrisches Ich, selten ein Wir oder es wird ein Du, ein Ihr adressiert. Das Ich ist das Ich einer Frau, schöpft aus persönlichen Erfahrungen sowie jener von Zeitgenossinnen und bezeugt Widerfahrungen des Aufwachsens in den frühen Nachkriegsjahren, die ein Leben lang mitgeschleppt, als Schöpfungsgeschichte bezeugt und in immer wieder neuen Akten des poetischen Schreibens distanziert werden. Vorherrschende Grundstimmung der Texte ist Melancholie, gefärbt mit Lakonie, aber auch mit trockenem Humor, der leicht und beschwingt daherkommt und bei dem einer das Lachen im Hals stecken bleibt. Lakonie wie Humor dienen Haas als probates Mittel, um Pathos oder Larmoyanz angesichts der Unerträglichkeiten gar nicht erst aufkommen zu lassen. Auffallend ist in den aktuellen Texten zudem eine nüchterne Abgeklärtheit, die das Ich mit knapp 70 Jahren nun gelassener auf das Leben blicken lässt, wenn auch der Furor immer mal wieder durchbricht, zuweilen das Wissen um die Endlichkeit und das Entschwinden der verbliebenen Zeit ins Bild rückt:

der weg

zum grab wird kürzer
die tage fliehen
noch tändle ich
mit all dem tand
der frühen jahre

Einiges in diesem Buch lässt an eine andere österreichische Dichterin denken: Elfriede Gerstl. Es wäre gewiss interessant, den Ähnlichkeiten und Divergenzen in beider Werk einmal literaturwissenschaftlich nachzuspüren.

Waltraud Haas: Mit der Axt in der Hand. Lyrik und Prosa. Klever Verlag, Wien 2021. 182 Seiten. Euro 20,-

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